Und morgen seid ihr tot
unterwegs, das heißt, im Grenzgebiet zwischen Afghanistan und den Nordwestprovinzen Pakistans. Zum ersten Mal vermuten wir, dass unsere Entführer doch zu den Taliban gehören.
Während aus der Klimaanlage kühle Luft und aus dem CD -Spieler Männergesang kommt, verändert sich die Landschaft. Wir überwinden bewaldete Hügel, Pick-ups kreuzen unseren Weg, auf den Ladeflächen sitzen vermummte bärtige Männer mit Kalaschnikows.
Die Menschen leben in Zelten, dazwischen stehen große, qualmende Lehmöfen, zu denen die Frauen Holz schleppen, um zu köhlern. Nichts erinnert an die uns vertraute Zivilisation. Es gibt keine Schulen, öffentliche Gebäude, befestigte Straßen oder farbenfrohe Schilder. Die Menschen leben in einem apokalyptischen Szenario, mit rußigen Gesichtern wie Minenarbeiter, mit leerem Blick wie hoffnungslose Sklaven.
Um fünfzehn Uhr halten wir erneut, damit die Männer ihr Gebet verrichten können. Wir befinden uns jetzt in einem fruchtbaren Hochtal, in dem Mais, Reis und Gemüse angebaut werden. Weiße Toyota Kombis ohne Kennzeichen fahren umher, die Männer tragen allesamt Bart und Waffe. Unsere Entführer sind entspannt. »Waziristan«, sagen sie lachend, ihre Heimat. Man fordert mich auf, den Turban abzunehmen und auszusteigen, sie wollen mich den Leuten vorführen. Da ich mich weigere, starren die herbeiströmenden Männer durch die Autoscheiben herein und beglückwünschen unsere Entführer zu ihrem Fang.
Sind wir doch in Afghanistan? Weitab von unserer Reiseroute, in einem Land, in dem Warlords und Taliban herrschen? Ein Lkw kommt vorbei, mit pakistanischem Kennzeichen, und wir sind ein wenig beruhigt.
Die Fahrt geht weiter, der Jeep rollt in einen breiten Fluss mit niedrigem Wasserstand, den man als Straße nutzt. Gemächlich schieben sich die Autos durch das schlammige Wasser, respektieren, wie auf jeder Asphaltstraße in Pakistan, den Linksverkehr. Doch es ist eben keine gewöhnliche Teerstraße. Der Jeep holpert über eine Untiefe, sackt ab und steckt plötzlich fest. Die Männer steigen aus, versuchen den Wagen aus dem Loch zu schieben, doch nichts bewegt sich. Die Räder drehen durch, lassen Wasserfontänen aufspritzen.
Am Flussrand stehen Männer und betrachten unser Treiben, Kinder zeigen mit den Fingern auf uns. Es gebe hier weder Polizei noch Armee, erfahren wir, hier herrschten die Taliban. Tatsächlich sind unsere Bewacher zwar verärgert über den Zwischenfall, doch besorgt wirken sie jetzt nicht mehr. Ein nacktes, verdrecktes Kleinkind, das gerade das Gehen lernt, schwankt zu seinen Spielgefährten, lässt sich auf den Hintern plumpsen und fängt an, eine Kalaschnikow, die an einem Felsbrocken lehnt, abzulecken.
Man unterlegt die Räder mit Hölzern und Steinen, Junkie gibt Gas, dann stemmen sich die Männer gegen die Karosserie. »Sie schieben zu spät«, raunt David mir zu, während der Jeep sich immer tiefer eingräbt. David versucht zu erklären, dass man anschieben muss, wenn der Motor das maximale Drehmoment entwickelt. Junkie versteht ihn nicht. Er wolle aussteigen und mithelfen, meint David. Junkie lehnt ab. Wir wissen nicht, ob aus Stolz oder aus Höflichkeit. Als David schließlich doch anpacken darf, bis zu den Knien im schlammigen Wasser steht, mit einem Ruck den Jeep befreit und die Fontänen der durchdrehenden Reifen ins Gesicht bekommt, sieht er aus wie ein Schlammcatcher.
Inzwischen ist es fünf Uhr nachmittags. Wir kommen durch eine freundliche Landschaft, mit Wiesen und Wäldern. Viele der Männer am Wegrand scheint Junkie zu kennen, immer wieder tauscht er Grüße aus. Schließlich bremst er an einem Zelt des Internationalen Flüchtlingshilfswerks. Alle steigen aus, wir auch. Wir sind umgeben von Männern in langen Gewändern und mit hennaroten Bärten. Rotes Haar gilt in dieser Region als Zeichen göttlicher Auserwähltheit. Die wenigsten haben von Natur aus rotes Haar, und so hilft man mit Henna nach. Die Männer tragen kreisrunde Hüte wie im Robin-Hood-Film und haben schwarz geschminkte Augen. Sie strecken uns ihre Hände entgegen und starren uns genauso ungläubig an wie wir sie.
Junkie kauft einem Jungen zwei dünne, schmutzige Hühner ab und wirft sie in den Fußraum. Die Fahrt geht weiter, führt über einen Hügel. Dann halten wir vor zwei Männern mit einer kleinen Ziegenherde. Junkie steckt ihnen fünftausend Rupien zu, vermutlich die Hälfte des von uns erbeuteten Geldes, der Koch steigt aus, übernimmt die Ziege und zerrt sie an den
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