Und morgen seid ihr tot
Ohren hinter sich her. Wir fahren mit dem Jeep weiter, Koch und Ziege gehen zu Fuß. Vor uns im Tal liegen zwei Hütten. Offensichtlich sind wir fast am Ziel.
Plötzlich hören wir Schüsse in unmittelbarer Nähe. Eine Maschinengewehrsalve. Wir ducken uns. Junkie fährt einfach weiter, scheint kein bisschen erschrocken oder auch nur erstaunt zu sein. Er lächelt, lässt eine Hand locker auf dem Lenkrad liegen, mit der anderen greift er nach seinem M16, schiebt den Lauf durch das offene Autodach und beginnt, das Feuer zu erwidern. Die heißen Patronenhülsen zischen durch die Fahrgastkabine, der Pulverdampf steigt mir in die Nase, und in meinen Ohren klingelt es. Ich verliere die Kontrolle, reiße die Arme in die Höhe und fange zu schreien an. Ich habe Gewalt nie ertragen können, und ich habe auch Waffen immer abgelehnt, auch die Dienstpistole, die ich als Polizistin mitführen musste.
David, der wie die meisten Männer ein anderes Verhältnis zu Waffen hat, legt seinen Arm um mich. Junkie lacht, wirft uns einen Blick zu und sagt wie immer: »No problem. No tension.« Krustenfuß und Geißenpeter können nun auch nicht mehr an sich halten, sie springen aus dem Wagen und schießen ebenfalls in die Luft. Fremde Männer kommen neugierig angetrabt und umringen das Auto.
»Aussteigen«, sagt Junkie, nicht unfreundlich. Aber ich kann nicht aussteigen, solange um das Auto Projektile pfeifen.
»Das ist ihre Art, ihren Triumph auszukosten«, sagt David, »sie liefern die Ware und sind stolz. Wenigstens sind wir am Ziel.«
Ich weine, bin wie katatonisch. Wie können sie vor unseren Augen feiern, dass sie uns die Freiheit, vielleicht das Leben genommen haben?, denke ich. Da hat Junkie ein Einsehen und gibt Anweisung, das Schießen einzustellen. Zitternd steige ich aus dem Wagen.
Wir sind umringt von fünfzehn fremden Gesichtern, allesamt bärtig, die uns angrinsen. Schadenfroh kommt es mir vor, aber heute denke ich, es war der naive, etwas fantasielose Ausdruck der Freude von Menschen, die zu Empathie kaum fähig sind, denen die orthodoxe Auslegung der Scharia fast jede Form von Ausgelassenheit untersagt. Nur ihren Überfluss an Waffen und Munition können sie ausleben.
Wir haben über eine Woche Angst hinter uns, aber wir sind am Leben, das allein zählt, denke ich. Auch wenn ich diese sinnlose Demütigung durch die Schießerei nicht vergessen werde. Sie hat mich fast noch tiefer erschüttert als die körperliche Gewalt in Loralai, wo sie David ins Gesicht schlugen, mich aus dem Bus zerrten und von hinten würgten.
Wir sehen uns um. Wir stehen in einer steinigen Landschaft, betupft von Grasbüscheln. Vor uns liegt ein steiler Anstieg, der zu den beiden Hütten führt. Dreißig Meter entfernt stehen sie, steinerne Grundmauern, darüber eine Holzkonstruktion. Eine schmächtige, zitternde Alte kommt auf mich zu. Ihre langen Haare sind zu zwei zerzausten Zöpfen geflochten, der Haaransatz ist grau, der Rest hennafarben. Ihre runzelige Wange strafft sich über einer großen Beule: Kautabak, den man hier »Kep« nennt. Sie fasst nach meinen Händen, starrt mich mit großen Augen an und will mich umarmen. Ich bin verwirrt und unsicher, noch immer hallen die Schüsse in meinem Kopf. Die Alte bewegt sich ungezwungen, fast herrisch zwischen den schwer bewaffneten Kämpfern, die für unsere Begriffe zwar nicht besonders groß, aber dennoch einen Kopf größer sind als sie. Sie zerrt an Junkies Arm, der ein wenig verlegen erklärt, dies sei seine Mutter.
Hier also ist Junkie zu Hause. Ein Zuhause. Ich bin immer noch zu verstört, um die Atmosphäre richtig wahrzunehmen. Ist die Verschleppung überstanden? Werden wir hier auf den Ausgang der Verhandlungen warten? Ist dies unser neues »Heim«, unser Gefängnis?
Auf Junkies Geheiß folgen wir zwei bewaffneten Männern, die wir noch nie gesehen haben. Sie tragen Sherwanis und die typische kreisrunde Mütze, die Kalaschnikow mit den handbestickten, fast grotesk farbenfrohen Riemen auf den Rücken geschnallt. Sie reden nicht mit uns, aber strahlen eine gewisse professionelle Ruhe aus. Auch Junkies Mutter, die uns begleitet, gibt uns das Gefühl von Sicherheit. Wir passieren einen zerfallenen Holzzaun und haben plötzlich eine satte Blumenwiese vor uns. Ein kleiner grüner, mit Blüten gesprenkelter Fleck, der sich vor einem der Gebäude ausbreitet.
Das Wohnhaus ist von einer hohen gelben Mauer umgeben, die auch dieses Ensemble wie eine Trutzburg wirken lässt. Die Männer deuten
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