Und morgen seid ihr tot
keine Stelle auf der Haut, die nicht geschwollen oder gerötet ist, die nicht juckt. Wir liegen oft stundenlang da, schlagen nach Mücken und zwingen uns, nicht zu kratzen, weil wir uns sonst die ganze Haut vom Leib ziehen würden.
Der Durchfall, den wir anfangs für eine vorübergehende Magenverstimmung hielten, ist zum Dauerzustand geworden. Wir werden immer schwächer und antriebsloser. Beim Laufen im Innenhof habe ich weiche Knie, und alle paar Runden muss ich mich hinsetzen. Manchmal liege ich auf dem Bett, unfähig, einen Finger zu rühren. Ich betrachte David, der sich von seinem Lager erhebt und die gekochten Kartoffeln abgießt, und frage mich: Wie schafft er das nur? Indem er seine ganze Willenskraft zusammennimmt, um diesen simplen Handgriff zu erledigen, wird er mir später einmal gestehen.
Der 5. August ist ein regnerischer, relativ kühler Tag. Wir haben eine unruhige Nacht hinter uns, fallen am Morgen noch einmal in Tiefschlaf, und ich erwache mit einem Gefühl von Traurigkeit und Sehnsucht. Ich denke an meine Schwestern, die an diesem 5. August nach Hawaii fliegen. Ich stehe nicht am Flughafen, um mich von ihnen zu verabschieden. Oder haben sie gar aus Sorge um uns auf die Reise verzichtet? Das würde meine Schuldgefühle meiner Familie gegenüber noch verschlimmern. Immer wieder breche ich in Tränen aus, weil das Gefühl der Ohnmacht und Isolation einfach zu schwer zu ertragen ist.
Am frühen Nachmittag – wir liegen auf den Betten und versuchen, uns in eine Siesta zu flüchten – tritt Guildo Horn ins Zimmer. Wir leiten aus seinen Paschtuworten und den Gesten ab, dass wir packen sollen. Warum? Wohin werden wir gebracht? Ist die lange Warterei, die Angst endlich überstanden? Noch ehe unsere Gedanken zu den üblichen Höhenflügen ansetzen können, zeigt Guildo auch auf unseren Gaskocher, die Lebensmittel und die Töpfe. Also steht nicht unsere Freilassung bevor – nur ein weiterer Umzug. Wohin? Keiner kann es uns beantworten. Aber unsere Bewacher werden uns begleiten, soweit wir verstanden haben.
Wir bereiten unsere Sachen vor, ich ziehe den Sherwani an, binde mir einen Turban, und dann warten wir. Um halb neun Uhr abends öffnet sich das Tor, man gibt uns ein Zeichen, und wir klettern in den üblichen weißen Toyota. Nase sitzt am Steuer und begrüßt uns, drei Bewacher steigen ebenfalls ein. Wieder fährt Nazarjan in einem idiotischen Tempo. Sie bringen uns um, sage ich zu David. Sie erschießen uns. Ich kann nicht atmen, hechle, keuche. Ich will nicht sterben, ich will nicht erschossen werden. Nur dieser eine Gedanke hämmert in meinem Hirn. Ich suche das Auto nach Anzeichen der Exekution ab, nach besonderen Waffen, Fleischermessern, nach einer Videokamera und Dollarnoten, die zu der üblichen Inszenierung gehören. Als ich nichts entdecken kann, schöpfe ich ein bisschen Hoffnung, vielleicht erschießen sie uns heute noch nicht.
Nach einer halben Stunde hält der Wagen. Ein neues Versteck. Es ist noch deprimierender als die Sandburg. Von einem winzigen, vermüllten Innenhof gehen mehrere stickige Räume ab, in denen schmutzige Decken liegen. Wir haben ein Zimmer für uns, in dem nur ein schmales Einzelbett steht, dessen Riemen teilweise gerissen sind. David legt sich auf den Steinboden, ich versuche, auf der Schlafstatt eine Stellung zu finden, die nicht schmerzt, aber es ist unmöglich, in diesem Raum zu schlafen. Es liegen dort Peitschen herum, Blut klebt an den Wänden. Alles ist verdreckt, Ratten schießen durch die Winkel.
Wir legen uns zum Schlafen nach draußen, aber David ergeht es schlecht. Er findet nicht in den Schlaf, und als die Bewacher um fünf Uhr morgens ihr Gebet verrichten, merken sie, dass David wach liegt und trotz der Hitze zittert. Sie geben ihm mehrere Decken, aber David hat weiterhin Schüttelfrost.
Ich darf nicht darüber nachdenken, dass seine Erkrankung ernsthafter als ein Magen-Darm-Infekt oder eine Lebensmittelvergiftung sein könnte. Es gibt in Waziristan kaum medizinische Versorgung, und wie sollten die Taliban uns in ein Krankenhaus einliefern?
Der Übersetzer teilt uns mit, dass wir vermutlich bis Ende August gefangen gehalten werden. Vierundzwanzig weitere Tage also, aber wir ändern allmählich unsere Haltung. Wir versuchen, nicht mehr jeden einzelnen Tag zu zählen (auch wenn ich dies mit meinem Tagebuch tue), sondern eine positive, an Kleinigkeiten orientierte Grundhaltung zu entwickeln. Immerhin haben wir auch erfahren, dass die Taliban
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