Und morgen seid ihr tot
durchs Zimmer, und die Jailer beginnen zu scherzen.
Nach einer relativ entspannten Nacht, in der David zum ersten Mal tief und ruhig schläft, trinken wir gemeinsam den Kaffee, den wir aus Nestlé-Pulver anrühren. Ich wasche unsere Kleider, bis auf der alten Bürste das Blut meiner Fingerkuppen klebt, und dann absolviere ich mein Trainingsprogramm im Hof. Wieder elf Sekunden pro Runde, zwei Stunden lang, macht sechshundertfünfundfünfzig.
Die optimistische Stimmung vom Morgen hält nicht lange an; als ich mein Tagebuch schreibe, kommen wieder all die Zweifel über mich. Malaria wird auch als Wechselfieber bezeichnet, weil die Fieberschübe kommen und gehen. Dass es David im Moment besser geht, ist also keine Gewähr für Besserung.
Aber wenigstens sollen wir heute noch in die Sandburg verlegt werden, wo wir ein wenig mehr Auslauf und zwei Betten haben. Außerdem sind die Schüsse und Detonationen dort nur aus der Ferne zu hören, während wir hier alle paar Minuten zusammenzucken und auch die Drohnen direkt über unseren Köpfen surren.
Wir warten bis zum Abend. Inzwischen wissen wir, dass vor der Dämmerung keine wichtigen Operationen durchgeführt werden und keine Talibanchefs zu Besuch kommen. Tatsächlich wird nach Einbruch der Dunkelheit ans Tor geklopft. Ein Bewacher fragt nach und öffnet den Einlass einen Spalt. Nase erscheint, wie immer mit seinem leicht schwebenden Gang, ganz in Weiß, mit sauberen Schuhen und einem hellbraunen Tuch vor dem Gesicht. Ihm folgt ein Fremder, dessen Anwesenheit unsere Bewacher in Aufregung versetzt. Schon Nase gegenüber sind sie nervös und unterwürfig. Aber dieser Neuankömmling erfüllt sie mit Ehrfurcht. Es ist ein fülliger Mann mit dunklem, kurzem Bart, rundem Gesicht, goldener Uhr, einer Weste, einer kurzen Kalaschnikow. Es ist Wali-ur Rehman, wie wir aus Erzählungen der Jailer erfahren haben, der zweitwichtigste Mann der Taliban-Bewegung in Pakistan. Er habe im Radio zu unserer Entführung gesprochen, werde sich aber niemals persönlich bei uns zeigen, hieß es. Nun ist er doch gekommen, kann sogar ein wenig Englisch. Wir setzen uns, gemeinsam mit David, auf die Decken neben unserem Bettgestell. Dann beginnt Wali in bedächtigen, aber bestimmten Worten zu erklären, er werde sich am nächsten Tag mit Vertretern der Schweizer Botschaft treffen, um die genauen Bedingungen für unsere Freilassung auszuhandeln. Im September seien wir wieder zu Hause. In allem, was er tut und sagt, strahlt er eine solche Autorität aus – wir sind sicher, dass er weiß, wovon er redet. Aber ich flüstere David zu, der bringt uns um, ohne mit der Wimper zu zucken. Er spricht von Arab und Crore, was wir nicht verstehen. Er wolle Aafia Siddiqui aus Guantanamo freipressen. Wir erklären, dass wir mit Amerika nichts zu schaffen hätten, dass wir aus der Schweiz seien, und zeigen ihm unsere selbst entworfene Weltkarte. Er wiederholt, die Europäische Union habe gute Verbindungen zu den USA und könne diese zur Freilassung Siddiquis bewegen. Außerdem wolle er einhundert Mudschahedin aus den pakistanischen Gefängnissen holen. Die Unterhaltung ist bizarr, manchmal lachen wir alle, David und ich haben inzwischen gelernt, die Paschtunen in ihrem merkwürdigen Humor zu unterstützen.
Wali-ur Rehman, Oberbefehlshaber in Süd-Waziristan, verabschiedet sich herzlich, sagt: »You are my guests«, umarmt David und geht. Unsere Stimmung hat sich aufgehellt. Endlich ein konkreter Hoffnungsschimmer.
Auch die Bewacher, die wir auch »Jungs« nennen, scheinen die Zeichen positiv zu deuten, denn sie sind ausgelassen und fahren wie die Verrückten, als wir im Auto sitzen. Wir kommen zurück in »unseren« Innenhof und begehen den Freudentag, indem wir einige »große« Runden laufen, fünfundvierzig Sekunden statt elf. David ist so weit wieder hergestellt, dass er mittrabt. Müde und zufrieden lege ich mich ins Bett. Der Strom ist da, der Ventilator läuft, morgen wird unsere Freilassung vereinbart. Und dann kann alles ganz schnell gehen …
Doch auf diese grandiose Aussicht folgen keine Fakten. Wieder warten wir tagelang, ohne dass etwas geschieht, ohne dass uns jemand Neuigkeiten überbringen würde. Auch unsere Bewacher sind ratlos, und jede Kleinigkeit zehrt an unseren Nerven. Immer wieder nennt Depp mich Burna, das sei der Name einer verrückten Alten aus seinem Dorf, und dann deutet er mit der Handkante das Schlachtermesser an, bis Locke ihn zurechtweist.
David hat manchmal so heftige
Weitere Kostenlose Bücher