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Und morgen seid ihr tot

Und morgen seid ihr tot

Titel: Und morgen seid ihr tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Widmer; David Och
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schon als Kind mit langen Spaziergängen mit meinen Eltern, später mit »Tatort«, Philip Maloney auf DRS 3, einem großen Stück Butterzopf und der Sonntagszeitung zelebriert habe.
    David geht es wieder so gut, dass er das gesamte Sportprogramm mit mir absolviert. Wir gehen und traben täglich anderthalb bis zwei Stunden im Kreis, drei Tage lang machen wir außerdem Kraftgymnastik: fünfunddreißig Liegestütze, sechzig Bauch-, dreißig Arm- und dreißig Unterbauchübungen à drei Wiederholungen. Jeden vierten Tag ruhen wir uns aus.
    Der 21.   August ist wieder ein Sonntag. Es gibt am Morgen eine heftige Detonation, unsere Jailer erzählen, mehrere Soldaten seien ums Leben gekommen. Hubschrauber fliegen über unsere Köpfe dahin, transportieren wohl die Leichen ab.
    Die Hitze wird wieder unerträglich. Wir schwitzen immerzu, duschen bis zu vier Mal am Tag, aber kaum lässt die erfrischende Wirkung des Wassers nach, läuft der Schweiß wieder den Rücken hinunter, tropft in die Augen, reizt unsere von Insektenstichen geschwollene Haut.
    Nachts liegen wir neben dem Standventilator, den wir auf die höchste Stufe stellen. Er produziert einen solchen Luftzug, dass man sich fühlt wie in einem Sportflugzeug, das mit offener Kabine durch die Tropen rauscht. Die Tücher, mit denen wir unseren Kopf gegen die Insekten schützen, müssen unter dem Körper eingeklemmt werden, damit sie nicht davonfliegen. Die Plastikriemen schneiden in den Rücken, unsere Muskeln sind verspannt. Da ich Angst habe, mir durch einen Moskitostich ebenfalls Malaria einzufangen, versuche ich immer mit langen Ärmeln und Socken zu schlafen. Irgendwann wachen wir auf, weil alles wehtut, die Stechmücken um unsere Köpfe schwirren und wir vor Hitze zu ersticken meinen. Das bedeutet, der Strom ist wieder ausgefallen, der Rotor stehen geblieben. Die pakistanische Regierung hat schon vor Jahren versprochen, das Stromnetz in den FATA auszubauen, doch es ist bei Versprechungen geblieben. Die Bevölkerung ist so erbost, dass sie absurderweise Sabotageakte auf Strommasten verübt und, wenn doch einmal Arbeiter des Elektrizitätswerks auftauchen, diese auch noch beschießt. Zum Sonderstatus der FATA gehört, dass sie kostenlos Strom beziehen dürfen. Der Strom ist gratis, aber er kommt nicht.
    Wir liegen unterdessen da, greifen nach dem Fächer, wedeln uns Luft zu, tauschen Verwünschungen aus. All diese Unwägbarkeiten sind ein Symbol unserer hilflosen Situation. Sollen wir das Bett wieder hinaus ins Freie tragen? Lass uns noch einen Moment warten, meint David. Vorhin kam der Strom auch nach einer halben Stunde zurück. Aber nach zehn Minuten halten wir es nicht mehr aus, wir stehen auf und tragen das Bettgestell nach draußen.
    Im Hof ist es fast genauso heiß, die Mauern haben die Hitze des Tages gespeichert, aber wenn man reglos auf dem Rücken verharrt, spürt man einen sanften Luftzug an Stirn und Nasenspitze, die Schweißperlen beginnen zu trocknen.
    Schließlich kommt Hans uns doch besuchen. Er ist ein Mann mit imposantem Gesicht, hervorspringenden Wangenknochen und einem dichten Bart. Er ist der Einzige, der so viel Englisch beherrscht, dass man mit ihm ein normales Gespräch führen kann, und wenn er sein breites Lachen aufsetzt, kommt eine Reihe gerader weißer Zähne zum Vorschein. Als Kind hat er Europa bereist, sein Vater arbeitete bei der pakistanischen Fluglinie PIA . Er hat studiert, ist weltoffen, liest viel und schreibt Tagebuch.
    Nachdem wir morgens ein Stück Fladenbrot verzehrt haben, setzen wir uns zusammen und reden über die Zustände in den FATA , über den Paschtunwali (den Ehrenkodex der Paschtunen) und die Taliban. Hans erklärt uns, dass sie einen gerechten, unabhängigen Staat errichten wollen, der auf allgemein anerkannten Prinzipien fußt. Sie wollen keine Einmischung durch den Westen, sie wollen kein korruptes Regime wie etwa das pakistanische. Für alle Bürger sollen dieselben Rechte und Pflichten, dieselben Gesetze gelten. Doch bis zur Errichtung des Talibanstaates sei es ein weiter Weg, der nur über bewaffnete Aufstände bewältigt werden könne.
    Das hört sich teilweise überzeugend an, aber unsere Entführung, die bei der Finanzierung dieser Bemühungen helfen soll, trübt das Bild vom paritätisch gerechten Staat. Auf unsere ungeduldige Nachfrage erklärt Hans, es dauere drei bis vier Tage, das Video per Mail zu senden, die Geldübergabe noch einmal vier bis fünf Tage. Also sei es realistisch, dass wir Ende August

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