Und morgen seid ihr tot
nicht einmal einen Ventilator gibt und man der Hitze wehrlos ausgeliefert ist. Doch wir haben keine Wahl, wir müssen unsere Sachen packen, Lebensmittel, Topf, Gaskocher, unsere zwei Blechlöffel und die zwei Plastikteller inbegriffen. Während wir unsere Vorbereitungen treffen, machen wir einander Mut. Es soll nur für vier Tage sein, außerdem liegt der andere Hof näher am Basar, wodurch wir schneller an Lebensmittel und Informationen kommen.
Wir sind gerade fertig, als Dumbo durch das Tor gewankt kommt. Er strahlt uns an und erklärt, wir könnten hierbleiben. Die alte Dorfbewohnerin, die verstorben sei und die man hier im Innenhof habe aufbahren wollen, werde woanders untergebracht.
Wir nehmen es schweigend zur Kenntnis und packen alles wieder aus.
Hans hatte uns versprochen, er werde in wenigen Tagen wiederkommen, um uns über den Stand der Verhandlungen zu informieren. Er kommt nicht. Wir starren auf das Tor, warten, fragen schließlich unsere Bewacher, obwohl wir inzwischen gemerkt haben, dass sie in der Hierarchie auf einer so niedrigen Stufe stehen, dass sie am allerwenigsten wissen. Sie meinen, Hans werde nach dem Ramadan wieder vorbeischauen. Hat er uns verschaukelt? Oder reden die Jungs einfach wieder Unsinn, weil sie nicht wissen, was sie antworten sollen auf unsere ewige Bohrerei? Oder hat Nase ihn endgültig von uns abgezogen? Aus Eifersucht? Nase scheint Hans ein wenig zu verachten, weil dieser kein echter Kämpfer, sondern nur ein Dolmetscher ist, der Propagandavideos dreht und auf dem Basar verschenkt. War es ihm ein Dorn im Auge, dass dieser Hans sich unser Vertrauen erworben hat? Dann hätten wir überhaupt niemanden mehr, mit dem wir ein Gespräch führen können.
Die Schweizer Medien berichten unterdessen, dass die Taliban in akuten Geldnöten stecken. Seit Osama Bin Laden als großzügiger Finanzier und charismatischer Geldeintreiber weggefallen ist, müssten die Taliban aus allem Kapital schlagen. Andererseits fließen durch den Opiumhandel in Afghanistan angeblich mehrere Milliarden Dollar jährlich in die Kriegskassen. Zwar müssen damit Tausende Kämpfer bezahlt werden, aber bei einem Jahresverdienst von zweihundertfünfzig Dollar in den FATA sind die Kosten für die Mudschahedin gering.
Wie auch immer, unsere Bewacher bekommen eine Art Sold, Häuser und Fahrzeuge werden unterhalten, wir verbrauchen Lebensmittel, Gas und Artikel zur Körperhygiene, die für pakistanische Verhältnisse teuer sind. So wird von den Taliban auch jedes Geiselvideo zu Geld gemacht. Sie nehmen nicht einfach Verhandlungen auf, indem sie das Video an die Schweizer Botschaft schicken, sondern verlangen schon für diesen Schritt einen hohen Preis. In unserem Fall versuchen sie es, wie wir später erfahren werden, erst einmal mit 500 000 Dollar. Deshalb ist ein Videodreh kein Befreiungsschlag, und auf einen Videodreh folgt bald der nächste.
Die Tage sind kürzer geworden, die Sonne steigt nur noch für ein paar Stunden täglich über die hohe Außenmauer, und so können wir im Schatten schon tagsüber laufen.
Dumbo fährt für ein paar Tage nicht auf den Basar, angeblich sind die Straßen gesperrt. Auf dem Basar gibt es einen toten Briefkasten, über den Dumbo unsere Korrespondenz mit Nase und Wali abwickelt. Und wenn dort schon ein Brief für uns liegt? Womöglich mit einem negativen Bescheid? Wir sitzen hier, in Erwartung des Autos, das uns nach Islamabad zur Botschaft bringt, und womöglich steht auf einem Stück Papier, das nur wenige Kilometer entfernt liegt, dass dies nicht vor dem Tag X der Fall sein wird. Und wofür steht dieses »X«? Für den 1. September, den 15.? … Weiter mag ich nicht denken.
Zwölf Tage lang totales Schweigen, dann, nach dreihundertfünfzehn Liegestützen und fünfhundertvierzig Rumpfbeugen, kommt endlich ein Brief von Hans. Er habe Wali nicht finden können, werde uns aber Ende August aufsuchen. Nase habe erzählt, es werde nicht mehr lange dauern, die Dinge gingen rasch voran.
Es ist derselbe Grundtenor, den wir seit sieben Wochen hören, aber trotzdem setzt die Botschaft eine solche Euphorie in uns frei, dass wir uns auf dem Bett wälzen und herumalbern. David fängt vor Übermut an, Walliserdeutsch zu reden, und er klingt so merkwürdig in dieser orientalischen Sandburg, dass wir uns krümmen vor Lachen. Wir lachen und brüllen und können gar nicht mehr aufhören, bis ein Bewacher hereinkommt und um Ruhe bittet. Locke, der krank ist, könne bei dem Lärm nicht
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