Und morgen seid ihr tot
und ein Waschraum, flankiert von einer offenen Zisterne. Im Zentrum des Hofes wächst ein großer Laubbaum, daneben ein Guavenbaum. Vor dem Wohngebäude liegt der Gebetsteppich, daneben schließt sich eine Freifläche an, die als Müllkippe dient. Zwei lange, in L-Form angeordnete Öfen erinnern daran, dass hier einst eine Bäckerei untergebracht war.
Alles wirkt noch schmutziger und düsterer als im August. Andere Bewohner haben in der Zwischenzeit ihre Spuren hinterlassen: zusätzlichen Abfall und Knochen an den Feuerstellen. Selbst unsere Bewacher grummeln, als wir die Zimmer beziehen. Zwischen den Mauern ist es schwierig, unser Laufpensum zu absolvieren, denn eine Runde dauert nur elf Sekunden, David wird es schnell so schwindlig, dass er abbrechen muss. Dafür stocken wir unser Gymnastikprogramm auf, machen jetzt auch Handstand und lernen, auf den Händen zu laufen.
Unsere Bewacher haben uns unaufgefordert das einzige Bett überlassen und legen sich auf die verdreckten Matten. Wir sind ihnen dankbar für diese Geste, auch wenn das Gestell lädiert, verrostet und für uns beide zu schmal ist. Mit Bürste und Seifenlauge versuchen wir, zumindest den gröbsten Schmutz zu entfernen, und tragen das Bett ins Freie, auf den schmalen Streifen zwischen Gebetsteppich und Müll. Dort haben haben wir ein altes Moskitonetz gefunden, das wir notdürftig flicken und über unsere Bettstatt schlagen.
Wieder beginnt nachts unsere Odyssee auf der Suche nach Schlaf. Im Freien ist die Temperatur erträglicher, aber dort hören wir ständig die Geräusche vom nahen Basar und von der Toilette, die Detonationen und Schüsse, die Drohnen und das Stromaggregat des Nachbarn. Wir haben ein Ohropax halbiert, legen uns auf die Seite und stecken den Ohrenstöpsel in das nach oben gewandte Ohr. Sobald sich einer von uns umdrehen will, weckt er zwangsläufig den anderen, wir drehen uns gemeinsam und wechseln jeweils das Ohropax von einem Ohr ins andere.
Sobald die Bewacher vor Sonnenaufgang zum ersten Gebet in den Hof kommen und das Spucken, Schreien und Beten beginnt, legen wir uns in unserem Zimmer einfach auf den Steinboden. Ein oder zwei Bewacher folgen uns nach dem Gebet und legen sich neben uns, um ebenfalls weiterzuschlafen.
Unsere Bewacher sind die niedersten Chargen, die man sonst nirgendwo einsetzen will. Ihre Unwissenheit und Unbeholfenheit würden uns Mitleid abverlangen, müssten wir nicht unter ihrem Unverständnis, unter ihrer Aufschneiderei und den Missgeschicken leiden, die sie permanent verursachen. So erklärt Dumbo uns mit gewichtiger Miene auf der rasanten Fahrt von einem Versteck in das andere, die Anwesenheit von Nase im Wagen sei hochriskant. Denn dieser stehe auf der Abschussliste der CIA , und früher oder später werde eine Drohne ihn finden und eine Lenkrakete auf ihn abfeuern. Wer dann bei ihm im Auto sitze … Er genießt die Wirkung seiner Worte und lacht. Wir versuchen, nichts auf sein Geschwätz zu geben, aber einfach ist es nicht. Schließlich hat er ausnahmsweise recht.
Zum Glück ist Dumbo im neuen Innenhof nicht mehr für die Lebensmittelbeschaffung verantwortlich. Er lässt sich nur von Zeit zu Zeit blicken. Als Bewacher bleiben uns Pumba, der gedrungene Vielfraß mit dem breiten Gesicht, Schilli, ein etwa zwanzigjähriger Bursche, und Depp, dessen Anwesenheit auch für die anderen Taliban ein Kreuz ist. Doch Depp ist der Neffe von Nazarjan, Blutsbande sind unter Paschtunen heilig, und deshalb muss man sich mit seiner Anwesenheit abfinden.
David hat nicht nur eine Ausbildung und Berufserfahrung als Polizist, sondern auch als Agoge (jahrelang hat er in einer Holzwerkstatt Behinderte betreut). Er mag Holz, Metall, und er mag Maschinen, Waffen, Werkzeuge. Eines Tages beobachtet er, wie Depp bei dem Versuch, seine Kalaschnikow zu reinigen, so ziemlich alles falsch macht, was man falsch machen kann. David erklärt ihm mit Gesten, dass er zwei Dinge auf keinen Fall verwenden darf: Wasser und Seife. David nimmt ihm die Waffe aus der Hand, zerlegt sie, reinigt den Lauf mit einem Baumwolltuch und Waffenöl. Er zeigt Depp jeden einzelnen Handgriff und fragt immer wieder, ob dieser begriffen habe. Depp nickt, nimmt die Waffe, wäscht sie mit Wasser und Seife und setzt sie wieder zusammen. Dabei bleibt ihm auch noch ein Teil des Putzlappens im Gasrohr stecken. Er verzweifelt, fängt zu jammern an, erklärt, sein Onkel Nase werde ausgesprochen ungehalten, wenn er die Waffe nicht mehr gebrauchen könne.
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