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Und morgen seid ihr tot

Und morgen seid ihr tot

Titel: Und morgen seid ihr tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Widmer; David Och
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in das Tor eingelassen ist, dann gibt er Zeichen, alles sei in Ordnung. Die Bewacher öffnen die großen Flügel. Ich renne ins Zimmer, um mir das Kopftuch umzubinden. Die Jailer haben mir gestattet, barhäuptig herumzulaufen, aber das sollen die Anführer nicht wissen. Einmal haben sie beanstandet, dass ich nur ein T-Shirt trug. Wie immer rollt ein weißer Toyota Corolla mit getönten Scheiben und ohne Nummernschild in den Hof. Also einer der ihren. Kein Militär, keine Geheimpolizei. Es ist so weit, denke ich. Die zwei Monate verzweifelten Bangens haben sich gelohnt. Die Fahrertür geht auf, aber statt Wali oder Hans steigt ein junger Mann aus dem Wagen, den wir noch nie gesehen haben. Er grüßt die Jungs und öffnet dann die Beifahrertür. Nase kommt zum Vorschein. Der junge Mann muss sein neuer Assistent sein. Wir sind enttäuscht. Nase steht in der Hierarchie unter Wali. Er ist nur dafür zuständig, den logistischen Ablauf unserer Haft zu überwachen und Informationen aus dritter oder vierter Hand zu überbringen. Informationen, die uns in der Regel eher verwirren als beruhigen, gerade weil wir mit ihnen ruhiggestellt werden sollen. Andererseits wäre er auch der richtige Mann, um unsere Freilassung abzuwickeln. Denn Wali ist zu exponiert, zu wichtig für die Organisation und zu stark gefährdet durch Drohnenbeschuss, um sich gemeinsam mit einer so wertvollen Beute wie uns außerhalb des Verstecks zu bewegen. Es passt alles zusammen. Der Ramadan ist vorbei, der zweite Monat unserer Geiselhaft läuft ab, mit dem letzten Video haben die Schweizer einen Lebensbeweis erhalten. Per Mail haben wir die Identifizierungsfragen beantwortet …
    Nase geht auf David zu und umarmt ihn herzlich. Mich grüßt er mit einem Winken, das mir freundlicher als gewohnt vorkommt. Er betrachtet uns und fragt, ob wir Druck hätten, »pression«. Wir bejahen. Normalerweise erkennt man so etwas wie Mitgefühl in seinen Augen, die manchmal sogar einen wässrigen Glanz bekommen, wenn wir ihm unseren seelischen Zustand schildern. Im Gegensatz zu unseren Bewachern scheint er sich in unsere Lage versetzen zu können. Doch diesmal ist Nase nicht den Tränen nah, er lacht laut auf. Dann geht er zu den Jungs, begrüßt sie, wechselt ein paar Worte mit ihnen und verschwindet auf die Toilette.
    Wir bleiben verdutzt zurück. Was ist in ihn gefahren? Die Taliban haben mehr Humor, als man erwarten mag. Sie lachen über jede Kleinigkeit, verfügen sogar über Selbstironie, selbst ihre Kinder haben schon Lachfalten, aber ihr Humor ist selten verletzend. Kann Nase jetzt über unseren inneren Druck lachen, weil alles vorbei ist? Wir gehen in unser Zimmer, setzen uns auf das Bett und warten darauf, dass er endlich zu uns kommt. Mein Herz pocht, und meine Hände zittern.
    Die Pakistani, mit denen wir in den letzten zwei Monaten zu tun hatten, lassen sich auf der Toilette immer viel Zeit. Manchmal verschwinden sie für eine Viertelstunde. Uns ist nicht klar, was sie dort treiben. Denn ihre akribische Körperpflege wie Barthaare-Zupfen, Mitesser-Entfernen oder Haare-Ölen und -Strähnen betreiben sie unter offenem Himmel. Nase braucht noch länger als gewöhnlich. Wir sitzen da, durch die offene Tür fällt das abendliche Dämmerlicht herein, und als Nase schließlich aus der Toilette kommt und an unserem Zimmer vorbeigeht, folgt David ihm. Er kann ihn nicht einfach ansprechen. Vielmehr zieht er zuerst seine Schuhe aus, setzt sich neben ihn auf den Teppich, nimmt ein bisschen Kep in den Mund, und dann stellt er die übliche Frage: »Wie lange noch?«
    Plötzlich weiß ich, dass unsere Hoffnungen sich zerschlagen haben. Wir bleiben hier. Die Anspannung verpufft und hinterlässt eine verzweifelte Leere. Als würde ich fallen wie ein Stein.
    Nase tritt in die Tür und bittet, mit David alleine sprechen zu dürfen. Ihm ist es nicht gestattet, eine Frau direkt anzusprechen. Auch nicht im Beisein des Ehemanns. Es wäre ein Affront. Normalerweise verletzt mich diese Sitte, die mir wie eine Herabsetzung meiner Person vorkommt, doch nun ist mir auch das einerlei. Ich stehe auf, verlasse das Zimmer und fange an, Runden zu laufen. Ich weine still, die Tränen mischen sich mit dem Schweiß, die Jungs, die mir meistens zusehen, ziehen sich in ihr Zimmer zurück. Ich fange an, Selbstgespräche zu führen, dann mit meinen Eltern zu reden. Es sind die immer gleichen Bitten, Entschuldigungen, Selbstvorwürfe. Ich drehe mich im Kreis, und passend dazu leiden wir seit Wochen

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