Und morgen seid ihr tot
Hans mit den Instruktionen für das Telefongespräch. Wir sollen meinem Vater sagen, dass ein Mann namens Saleem in Islamabad auf ihn wartet. Die Sache muss in einem direkten Treffen geregelt werden, ohne dass die pakistanische Regierung oder der Geheimdienst davon Wind bekommen. Dies sei der letzte Versuch. Andernfalls sind wir tot.
Wir bitten darum, dass wir auch unsere Freunde Peter und Muriel anrufen dürfen.
»Ihr dürft heute anrufen, wen ihr für richtig haltet«, meint Nase.
Warum? Haben sie keine Angst mehr, lokalisiert zu werden? Warum ist nicht einmal der Übersetzer dabei, der den Inhalt unserer Aussagen überwachen soll? »Warte diesmal ab, bis wir alles gesagt haben«, füge ich an.
»Okay«, antwortet er.
Wir kommen wieder an den Fuß des flachen »Telefonhügels«, auf dem schon zwei Männer mit Handys stehen.
Ich muss den Gedanken ausblenden, dass von diesem Telefonat unser Leben abhängt. Ich stelle mir vor, wie ich in der Schweiz im Garten sitze, zwei Kinder neben mir, die Hausaufgaben machen. Ich schaue über die verschneiten Bergwälder, sehe David, der durch die Wohnungstür kommt und lachend die Einkaufstüten neben den Herd stellt. Ein ganz normaler Tag, in zehn oder fünfzehn Jahren. David wird ein großartiger Vater sein. Falls wir jemals die Chance bekommen, Kinder großzuziehen.
Der Assistent öffnet die Seitenscheibe einen Spalt, schiebt die Telefonantenne hinaus und hängt einen Verstärker an das Kabel. Trotzdem ist das Signal schwach und labil. Er lässt den Wagen hin und her rollen, während Nase draußen mit den zwei Männern redet, die es offensichtlich geschafft haben, sich in ein Netz einzuwählen. Eine Viertelstunde suchen sie nach Empfang, schütteln den Kopf. Dann fährt der Assistent den Hügel hinauf und ruft plötzlich, das Signal sei da.
Nase lässt sich die Nummer von mir diktieren. Er verwählt sich, gibt sie erneut ein. Eine Frauenstimme sagt: »The line is busy.«
Bei uns zu Hause ist es jetzt 13.40 Uhr. Meine Mutter telefoniert, sage ich und diktiere Nase die Handynummer meines Vaters. Ich starre auf den Zettel mit Hans’ Instruktionen, der auf meinen Knien liegt. Es klingelt, mein Vater antwortet.
»Papa, ich bin’s, Daniela. Hörst du mich? Bist du daheim?«
»Daniela, Daniela, ja, ich bin daheim. Seid ihr frei?«
»Bitte hör mir zu. Kannst du dich an unser Telefonat von vor drei Wochen erinnern?«
»Ja«, antwortet er. »Die pakistanische Regierung hat alles mitbekommen. Es ging nicht.«
Er will mir eine Schweizer Nummer geben, lässt mich nicht reden. »Ich habe eine ganz wichtige Nummer für dich, Daniela«, sagt er immer wieder. »Dort müsst ihr morgen anrufen, am besten vormittags.«
»Vater, hör mir zu, ich gebe dir jetzt die Nummer eines gewissen Saleem. Ihr habt drei Tage, um ihn anzurufen. Sonst sterben wir.«
Aber mein Vater brüllt ins Telefon: »Daniela, Daniela, ich muss dir was geben.«
»Bitte, Papi, hör mir zu …«
»Daniela, Daniela, ich muss dir …«
»Papi, bitte, jetzt hör mir doch einen Moment lang zu.«
Ich versuche, langsam die Nummer durchzugeben. Im Hintergrund ist meine Mutter zu hören. Sie notieren gemeinsam die Nummer und wiederholen sie. Es gibt eine Zeitverzögerung in der Verbindung, die Verwirrung stiftet.
»Daniela«, schreit mein Vater, »schreib dir die Nummer vom Anwalt auf, alles ist vorbereitet.«
Ich bitte Nase um einen Stift, und David notiert die Nummer auf dem Brief.
»Bezahlt denn nicht die Schweizer Regierung das Geld?«, frage ich.
»Alles ist bereit, mein Schatz«, wiederholt mein Vater. Ich weiß nicht, ob er meine Frage absichtlich ignoriert.
Auf einmal ist meine Mutter am Apparat. »Wie geht’s dem David?«, fragt sie.
»Schlecht geht es uns, Mama. Sieben Monate, wir sterben hier, wir haben keine Kraft mehr.«
Sie ist verstört und sagt, wir sollen die Anwaltsnummer anrufen, alles sei vorbereitet.
»Die Schweizer Regierung muss diese Sache regeln, Mama, nicht ihr.«
Aus dem Hintergrund kommt immer noch das Schreien und Weinen meines Vaters, meine Mutter gibt wirre Antworten. Ich dringe nicht durch mit meinen Worten. David nimmt mir das Telefon aus der Hand und versucht es seinerseits. Aber sie scheint einfach nicht zuzuhören, meint, sie habe nichts verstanden vorher, sie fängt zu weinen an und sagt, es sei so schlimm, warum wir denn noch immer nicht frei seien nach so langer Zeit.
Ich habe keine Kraft mehr, meine Mutter zu trösten. »Das wollten eigentlich wir fragen«,
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