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Und morgen seid ihr tot

Und morgen seid ihr tot

Titel: Und morgen seid ihr tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Widmer; David Och
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weder dein Vater noch das Geld seien eingetroffen.«
    »Sind diese beiden Männer Vertrauenspersonen von euch?«, frage ich.
    Nase schüttelt den Kopf. »Man weiß nie, auf welcher Seite sie stehen.«
    »Und seit sieben Monaten liegen die Verhandlungen in Händen solcher Leute?«, frage ich.
    »Mit solchen Leuten ist es schwierig, eine Geldübergabe zu planen und umzusetzen.«
    Ach was? Das war uns bisher gar nicht aufgefallen! David und ich schauen einander an. Wir sind zu erschöpft, um richtig wütend zu sein, zu desillusioniert, um uns aufzuregen. Dumbo hat ein Holzbett hereingeschleppt, von dem seine kurzen Speckbeine baumeln. Nase fallen beim Sprechen die Augen zu, David hat sich inzwischen Rastalocken in den Bart gezwirbelt vor lauter Unwillen.
    »Ist es okay für euch, wenn ihr in einem Bett schlaft?«, fragt Dumbo.
    Uns ist alles gleich.
    »Wali hat beschlossen, dass ein Mann direkt in die Schweiz fliegt und dort verhandelt.«
    »Ist dieser Mann ein Freund von euch?«, fragt David.
    »Ja«, antwortet Nase, »ein Freund von Wali.«
    »Was für ein Freund?«
    Nase zuckt mit den Schultern. »Ich kenne ihn nicht.«
    Als sich auch noch Dumbo in das Gespräch einmischt und sagt, der Mann werde zu Fuß aufbrechen, verliere ich den letzten Rest an Zuversicht. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie sich einer ihrer Vertrauensmänner ein Visum für die Schweiz beschafft, die Sicherheitsschleusen passiert, ins Flugzeug steigt, den Bus oder die Bahn nimmt, in Bern vor dem Bundeshaus aussteigt und sich bis zur Bundesrätin durchfragt, immer wiederholend, dass er das Lösegeld für zwei Geiseln abzuholen habe.
    Als Nase unsere ungläubigen Mienen sieht, sagt er, es sei auch für ihn hart, diese Anspannung auszuhalten.
    Ist er noch bei Trost? Für ihn ist die Anspannung hart? Ist ihm in etwa bewusst, wie wir uns fühlen? Dass wir seit einer Woche tot sein müssten?
    »Ist eine Million Dollar viel?«, fragt er schließlich.
    »Sehr viel«, antworten wir.
    Er denkt einen Moment nach, ehe er noch einmal ansetzt: »Kann man damit dieses Zimmer füllen? Wie viele Toyotas kann man davon kaufen?«
    Wir zucken mit den Schultern.
    Nases Blick ist hilflos und leer. So haben wir ihn noch nie gesehen.
    »Ich muss schlafen«, meint er. »Wir reden morgen.«
    Er steht auf, lässt sich Richtung Mekka aufs Bett fallen, zieht sich die Decke über den Kopf und ist eingeschlafen.
    Drei Tage später schreitet Dumbo am Nachmittag durchs Eisentor, verlangt nach den Burkas und sagt, wir gingen noch einmal telefonieren. Ich muss sofort auf die Toilette.
    In den letzten acht Monaten haben wir vor allem gelernt, zu warten, Körper und Gehirn mit Training zu beschäftigen, damit die Passivität der restlichen Zeit erträglicher wird. Kommt dann ein unverhofftes Ereignis von außen, fühle ich mich überfordert. Ich habe Angst, dass meine Reflexe eingeschlafen sind, dass ich Telefonnummern nicht mehr weiß oder am Apparat falsche Aussagen treffe.
    Jetzt fällt mir ein, dass ich nur das T-Shirt unter der Jacke trage, aber ich wage nichts zu sagen. Man gibt uns Flip-Flops, die Turnschuhe seien zu auffällig. Dann ziehen wir die Burkas über.
    »As-salamu ’alaikum wa rahmatu ’llahi wa-barakatuhu«, sage ich und entledige mich der Burka, als ich auf der Rückbank des Toyotas sitze. Pumba und Hamza, der am Steuer sitzt, geben uns die Hand, dann fahren wir los. Dumbo ist auf den Beifahrersitz geklettert und hält einen relativ modernen Telefonapparat im Schoß. Wir passieren eine hohe Sandmauer, dann geht es über eine Schotterstraße den Hügel hinauf. David und ich sehen aus den Seitenfenstern und prägen uns die Topografie ein.
    Wir kommen auf eine Asphaltstraße voller Schlaglöcher. Es ist bewölkt, keine Drohnen am Himmel, wenigstens diese Angst bleibt uns heute erspart. Aber ist bei diesem Wetter der Empfang nicht noch schlechter als gewöhnlich? Niemand von unseren Begleitern weiß, wie die Aktion ablaufen soll. Sie halten an und beten am Straßenrand. Wir nutzen die Zeit, um uns die Distanzen einzuprägen, wechseln stumme Blicke.
    Wir kommen über zwei Brücken, erreichen das Wohngebiet, das Zentrum. Wir biegen in eine Seitenstraße ab, die wir nicht kennen. In einem verwahrlosten Hinterhof steht eine Gruppe von Mudschahedin. Nase ist darunter.
    Er steigt hinten neben Pumba ein, jetzt zwängen wir uns zu viert auf den Rücksitz. Der Wagen kämpft sich durch das Labyrinth des Basars. Nase gibt uns die Hand, dann einen Brief von

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