Und Nachts die Angst
plötzlich an einem Tatort wiederfinden und Zeugin eines Mordes werden.«
»Na ja, ich …« Sie schluckt. Die Luft im Raum wird heiß wie in einem Ofen.
»So kommen wir nicht weiter«, knurrt Krasny und reibt sich mit seiner breiten Hand die Stirn. »Wir brauchen Antworten, und zwar sofort.«
Ihre Kehle fühlt sich an wie Sandpapier. »Ähm, könnte ich ein Glas Wasser haben?«
Krasny stößt geräuschvoll den Atem aus, und Benioff wirft ihm einen Blick zu. Die beiden wissen, dass sie Zeit zu schinden versucht, aber sie wahren den Schein. Sie lassen ihr Wasser bringen.
Man reicht ihr einen Plastikbecher, und sie hält ihn mit beiden Händen und nippt daran. Und grübelt, ob der Mörder der Cop ist, von dem Tilly gesprochen hat. Grübelt, wie sie ihr Versprechen Tilly gegenüber halten kann, und ist sich der Kamera, die auf sie gerichtet ist, sehr deutlich bewusst.
»Okay, jetzt ist Schluss mit den Nettigkeiten.« Krasny schlägt sich auf den Oberschenkel. »Wir brauchen Einzelheiten, Fräulein, und Sie sollten unbedingt mit uns kooperieren.«
Benioff wirft ihm wieder einen Blick zu, streicht sich eine Locke hinters Ohr und beugt sich vor. »Sie sagen uns jetzt bitte, wie Sie Hannah gefunden haben.«
Krasny schlägt die Faust auf den Tisch. »Und wie zum Geier sind Sie auf Orr gekommen?«
Benioff lehnt sich zurück. »Krasny, verdammt noch mal. Sie sind derjenige, der die Sache mit der Adresse vermasselt hat. Lassen Sie es nicht an ihr aus.«
»Aber sie kann doch nicht …«
»Ich mache jetzt weiter«, unterbricht Benioff knapp. »Gehen Sie uns Kaffee holen.«
»Also schön!« Er schiebt seinen Stuhl zurück und kommt auf die Füße. »Aber nur um das klarzustellen. Ich habe nichts falsch gemacht, und ich lasse auch nichts an irgendjemandem aus.«
Benioff verschränkt die Arme und wartet, bis er hinausgepoltert ist, dann faltet sie die Hände auf dem Tisch und sagt freundlich: »Was Sie getan haben, war sehr mutig. Sie müssen zu Tode erschöpft sein. Ich kann mir vorstellen, dass Sie am liebsten alles hinwerfen, nach Hause gehen und schlafen möchten. Aber wir haben noch ein paar Fragen, okay? Und wir brauchen Ihre Hilfe, um das Bild zusammenzusetzen.«
»Ich, ähm …« Wieder fragt sie sich, wer zuhören könnte, und versucht, ihre Gedanken zu sortieren, aber sie entgleiten ihr wie nagelneue Spielkarten. »Wissen Sie, wie … wie es Hannah geht?«
»Sie ist im Krankenhaus. In guten Händen.« Benioff macht eine Pause und sieht Reeve in die Augen. »Aber ich muss Sie daran erinnern, dass Abby Hill noch vermisst wird. Sie könnte noch am Leben sein.«
Die Ereignisse der vergangenen Tage wirbeln in ihrem Kopf herum. Emily Ewing. Otis Poe. Mister Monster. Mit einem raschen Blick zur Kamera an der Decke, flüstert Reeve: »Können wir irgendwo anders reden?«
67. Kapitel
D ie Mitglieder der Band Texas Hold-em schalten grundsätzlich ihre Handys aus, bevor sie auf die Bühne gehen, selbst an einem normalen Werktag, selbst in einer derart bodenständigen Kneipe wie dem Pony Express. Zum größten Teil spielen sie Coverversionen ihrer Lieblingsinterpreten – das gefällt der Masse –, aber sie präsentieren auch gerne ein paar eigene Countrysongs. Die heutigen Gäste scheinen die neuen Lieder von Nick Hudson den Oldies vorzuziehen. Und die Geschäftsführerin Roxie, ein ehemaliger Skiprofi, achtet immer sehr genau auf die Reaktionen der Menge.
Die Bar ist ziemlich voll, und das Geld strömt herein, so wie das Bier hinausströmt. Diejenigen, die sich für die rege Musikszene der Stadt interessieren – viele davon selbst Musiker –, kommen jedes Mal vorbei, wenn Texas Hold-em auftritt. Nicht wenige sind der Ansicht, dass Las Vegas und Hollywood etwas entgeht, und man wettet, wie lange es noch dauern wird, bis diese Burschen ihre bürgerlichen Jobs kündigen.
Als der letzte Ton verklungen ist und der Applaus abebbt, leert sich die Bar. Die Trinker zahlen ihren Deckel, die Raucher verschwinden nach draußen.
Roxie sorgt immer dafür, dass jedes Bandmitglied am Schluss sein Lieblingsgetränk vor sich hat. Und besonders gerne reicht sie Nick Hudson das Glas Jack Daniels on the Rocks.
Er hat erst ein paarmal genippt, als er sein Handy einschaltet und den Kopf schüttelt. »Ach du Schande. Acht Anrufe, zehn Nachrichten.«
»Hm – da ist aber jemand beliebt«, schnurrt Roxie, während Nick sich das Handy ans Ohr hält, um die Nachrichten abzuhören.
Er verzieht das Gesicht, dann noch einmal, dann
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