Und Nachts die Angst
unbewohnte Wildnis zu bringen. Die Scheibenwischer bewegen sich hektisch hin und her. Die Tankanzeige warnt in leuchtendem Gelb.
»Guck noch mal auf mein Handy, ja?«
Hannah tut, was sie sagt. »Noch immer nichts.«
Vor ihnen leuchtet etwas auf. Ein Stoppschild. Stumm schickt Reeve ein Dankgebet gen Himmel und biegt auf eine Straße mit richtiger, ordentlich weißer Mittellinie. Sie tritt aufs Gas, während Hannah die Sonnenblende herunterklappt und den Spiegel so einstellt, dass sie die Straße hinter sich sehen kann.
»Wird dir langsam warm?«
Hannah schüttelt ihr nasses Haar, dann wickelt sie die Decke um ihre Beine und zieht sie auf den Sitz. »Wer bist du?«, fragt sie und betrachtet Reeve mit seltsamer Intensität. »Und wie hast du mich gefunden?«
Reeve holt tief Luft und ringt mit einer Antwort. Als sie endlich den Freeway erreichen, hat Hannah zu zittern aufgehört.
»Besser?«, fragt Reeve.
»Ich denk schon.«
»Du musst ins Krankenhaus.«
»Nein, bitte, ich will nach Hause, nicht ins Krankenhaus«, antwortet Hannah leise.
Der Jeep rauscht durch die Nacht. Auf der Hälfte der Brücke über den Jefferson Lake wird das gelbe Warnlicht der Tankanzeige rot.
»Bitte, bring mich nach Hause, okay?«
»Ja. Ich versuch’s«, sagt Reeve geistesabwesend und sucht nach einem Tankstellenhinweis an der Straße.
Sie überqueren die lange Brücke, und der Freeway steigt durch den Wald hin an und scheint sich bis in die Wolken aufzuschwingen.
63. Kapitel
B evor Duke zu einem seiner Mädchen geht, ruft er normalerweise den Halter über ein Handy an, das nur diesem Zweck dient. Das Handy zeichnet jeden Besuch auf. Es ist wie eine elektronische Chronik. Er hat das Telefon zerstört, das er benutzt hat, um Vander-Depp zu kontaktieren, aber die anderen beiden hat er bei sich. Er geht mit Weitsicht vor.
Da die verräterische Tilly frei und Hannah unerklärlicherweise verschwunden ist, hat er keine Wahl. Dennoch ist allein der Gedanke an das zu bringende Opfer wie ein Messer, das in seinen Eingeweiden umgedreht wird.
Es regnet ununterbrochen, als Duke vor dem Haus hält, in dem er das Mädchen bei Simon Pelt untergebracht hat. Er stellt den Motor aus und streift seine weichen Lammlederhandschuhe über.
Dieses Mal hat Duke weder ein Bettlaken noch seine Spielzeugkiste mitgebracht. Dafür hat er seine Lieblingswaffe, die Glock, dabei.
Bevor er aussteigt, faltet er einen neuen schwarzen Regenponcho auf und zieht ihn über. Er wird ihn vor Regen und Blutspritzern schützen.
Mit seinen schweren Stiefeln steigt er die Treppe hinauf und klopft höflich.
Simon Pelt öffnet und reißt erstaunt die Augen auf. »Hey, Mann, tut mir leid, aber sie ist nicht fertig. Ich hab dich nicht erwartet.«
Nun entdeckt er die Glock.
»Hey, Mann, was ist los?« Pelt hält die Hände hoch und weicht zurück.
Duke lässt die Tür offen stehen und folgt ihm hinein. Er befiehlt Pelt, sich aufs Sofa zu setzen.
Pelt stammelt und stottert, aber Duke hört gar nicht zu. Er sieht sich um und stellt sich hinter einen Polsterhocker, der seine Hose und seine Stiefel vor Blutspritzern bewahren wird. Dann zielt er, feuert drei gut plazierte Kugeln ab und sieht Pelt beim Sterben zu.
Dieses Mal ist es nicht notwendig, die Hülsen einzusammeln.
Duke ist zu dem Schluss gekommen, dass es kontraproduktiv wäre, das Mädchen zu töten, also lässt er Abby Hill im Keller eingeschlossen. Er sieht auf die Uhr und zieht die Eingangstür hinter sich zu.
Sorgsam legt er den Poncho ab, faltet ihn zusammen und steckt ihn in eine Plastiktüte, bevor er wieder in sein Auto steigt, die Handschuhe auszieht und eine Abkürzung zu seinem nächsten Ziel einschlägt.
Die plötzliche Stille, die er zurücklässt, ist ohrenbetäubend. Sie flutet das Haus, dringt in den Keller und brandet gegen Abbys Ohren.
In dem Augenblick, als sie den schweren Schritt des Mannes erkannt hat, hat sie sich auf alles gefasst gemacht. Sie hat dem Knarzen der Holzdielen gelauscht, den gedämpften Stimmen, den drei krachenden Salven. Eine angsterfüllte Pause, dann die Schritte des Mannes, die sich entfernten.
Nun liegt sie zusammengerollt auf der Liege, die Knie an die Brust gezogen, und ist umgeben von umfassender, grausiger Stille. Sie wartet. Sie weiß, dass ihr Aufseher tot ist, dass man sie allein zurückgelassen hat.
Lebendig begraben.
Sie stöhnt leise – ein trauriger Laut – und schließt die Augen, um sich ganz auf mögliche Geräusche zu konzentrieren. Den Regen
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