Und Nachts die Angst
aufnimmt, Tabletts hin- und herträgt und Tee nachschenkt, ist sie heilfroh über die Hilfe von Takami-sans Tochter. Dennoch fällt ihr auf, dass Keiko sie weder ansieht noch lächelt.
Endlich lässt die Flut der Bestellungen nach. Das Restaurant kommt etwas zur Ruhe und kühlt ab. Takami-san und ihre Tochter ziehen sich zum Reden ins Büro zurück. Der Sushi-Koch bereitet sich auf das Abendgeschäft vor und reinigt und pflegt sein Messerset. Und während die letzten zwei Gäste sich mit ihrem Dessert Zeit lassen, beginnt Reeve mit den Routinearbeiten, deckt Tische neu ein und füllt Sojasaucenkännchen nach.
Mit halbem Ohr nimmt sie das Gespräch des Pärchens wahr, hört aber nicht bewusst zu, als sie plötzlich das Wort »Entführung« aufschnappt. Sie erstarrt. Sie will nicht lauschen, doch die Stimmen sind tragend und so laut wie die von Moderatoren, und Einzelheiten strömen auf sie ein. Sie schließt die Augen und sieht die Betonwände. Eine Sirene heult in der Ferne, und Daryl Wayne Flints Barthaare streichen über ihren Nacken. Sie schaudert, die Sirenen werden lauter, und als der Krankenwagen kreischend vorbeirast, ist sie wieder im Kofferraum von Flints Wagen, benommen von der Droge, und Lärm kracht mit der Wucht einer Druckwelle auf sie herein, Lärm wie ein Fausthieb, der ihr die Flasche mit der Sojasauce aus der feuchten, schwachen Hand schlägt.
Im Fallen verspritzt die Flasche einen Bogen aus dunkler Flüssigkeit, bevor sie auf dem Boden zerschellt.
Reeve blickt wie gelähmt auf die Scherben, bis sie bemerkt, dass Takami-san und ihre Tochter sie aus dem Büro anstarren.
10. Kapitel
Bezirksgefängnis von Jefferson
Thanksgiving
M anch ein Insasse behauptet, vom Gestank der frischen Farbe in der Krankenstation würde man erst richtig krank, aber Randy Vanderholt, ein dicklicher Mann mit hübschem Mund, bemerkt den Geruch gar nicht. Er ist benommen, und der Hals tut ihm weh.
Er blinzelt durch die geschwollenen Augen, blickt sich um und stellt fest, dass er sich in einem einfachen, fensterlosen Raum befindet, in dem kaum mehr als das Krankenhausbett steht. Laken und Bezug sind sauber, die Wände hell.
Er erinnert sich, dass man ihn von hinten angegriffen und bäuchlings zu Boden gestoßen hat. Er erinnert sich an rauhe Hände, die ihn wieder hochgezerrt und ihm etwas um den Hals geknotet haben.
Er lässt seine Zunge im Mund herumrollen, stellt fest, dass die Zähne noch da sind, und beschließt, dass er sich glücklich schätzen kann. Er hat in den vier Jahren, die er zuvor in Folsom gewesen ist, einige Prügeleien überstanden, und ein paar davon waren wirklich heftig gewesen. Aber zum ersten Mal hat jemand ernsthaft versucht, ihn umzubringen.
Er müht sich, sich aufzusetzen, muss aber feststellen, dass er sich nicht regen kann. Er wehrt sich gegen die Gurte, und es dauert ziemlich lange, bis ihm dämmert, was das zu bedeuten hat. Offenbar steht er unter Beobachtung, und zwar wegen Selbstmordgefahr; derart angeschnallt wird man nur, wenn die Wachen Angst haben, dass man sich mit Betttüchern oder einer vergessenen Schere etwas antut.
So was ist ihm noch nie passiert, aber ihm kann’s recht sein. Er hebt den Kopf und sieht sich erneut um, betrachtet das schmale Schränkchen, die kleine Plastikschüssel mit Wattebäuschen, die Rolle Papiertücher in einem Wandhalter. Alles ist sauber und ordentlich und weiß.
Hier in dieser Krankenzelle ist er jedenfalls in Sicherheit. Immerhin hat jemand ihn überfallen. Wer kann das gewesen sein? Und dann dämmert ihm, dass Duke etwas damit zu tun haben könnte. Hat er nicht gesagt, dass er ihn, Randy, immer im Auge behalten würde? Hat Duke nicht immer gesagt, dass er sich Randy schnappen würde, wenn er Mist baut?
Vanderholt kaut auf seiner Unterlippe, als er sich klarmacht, wie unfair das Ganze ist. Als die Bullen bei ihm aufgetaucht sind, hat er die ganze Schuld auf sich genommen. Er hat sie reingelassen, Tillys Tür aufgeschlossen und alles gestanden. Und er hat die Klappe gehalten, was Duke anging, wie er es versprochen hatte.
Aber jetzt hat jemand versucht, ihn umzubringen.
Er legt den Kopf wieder ab und denkt nach.
Was, wenn Duke hier drinnen seine Leute hat?
Was, wenn alle ihn Perverser und Kinderficker nennen?
Er muss das in Ruhe durchdenken. Das ist eine wirklich schlimme Situation. Leute, die Kinder missbrauchen, sind im Knast ein beliebtes Angriffsziel, das weiß er gut.
Er versucht, sich zu konzentrieren, aber schon bald fängt sein
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