Und Nachts die Angst
Magen an zu knurren. Seine Aufmerksamkeit schweift immer wieder ab, und er fängt an, sich zu sorgen, dass er – verdammt und zugenäht! – vielleicht so lange weggetreten war, dass er das Thanksgiving-Essen verpasst hat.
11. Kapitel
San Francisco
W enn es nicht Thanksgiving wäre, wäre Reeve einfach im Bett geblieben. Sie fürchtet sich vor geselligen Zusammenkünften. Und die schlechten Nachrichten stecken ihr wie ein Kloß in der Kehle.
Dennoch treibt sie die Kombination aus familiärer Verpflichtung und der Aussicht auf ein festliches Mahl aus den Federn. Sie zieht sich an und marschiert los. Sie ist sogar so zeitig unterwegs, dass sie einen Umweg durch den Park mit den wilden Papageien machen kann.
Sie sucht die Baumkronen ab und lauscht auf die typischen Rufe. Zwei Exemplare fliegen wie grüne, quäkende Schemen über sie hinweg. Sie lassen sich auf einer Straßenlaterne nieder, und sie reckt den Hals, um zuzusehen, wie sie sich putzen. Sie wirken beneidenswert zufrieden.
Sie entdeckt noch ein Paar, dann einen ganzen Schwarm. Sie beobachtet die rauflustigen südamerikanischen Vögel mit den roten Köpfchen in dieser untypischen Umgebung so lange, bis sie einsieht, dass sie sich nun ihrer Familie stellen muss.
Thanksgiving ist eine emotionale Ochsentour. Sie vermisst ihre Mutter. Sie hasst die spaßigen Fragen nach ihrem nicht existenten Liebesleben. Und sie wird immer wie das versehrte Kind behandelt, das schwache Glied der Familie, das von allen umsorgt werden muss.
Doch als Reeve ihren Teller mit Truthahn, Cranberry-Sauce und warmen Biskuits aufgegessen hat, hat sie ihren Missmut vergessen. Sie leckt sich die Finger und ist froh, dass der Neuzugang in der Familie die ganze Aufmerksamkeit auf sich zieht.
Der Stargast, das Baby Tyler, thront auf einem Hochstuhl und stopft sich mit den feisten Händchen Cheerios in den Mund. Flankiert wird er von Mutter und Vater, Reeves perfekter älterer Schwester und ihrem perfekten Schwager Doug, der geistesabwesend verstreute Frühstücksflocken auf Tylers Tablett zusammenschiebt.
Henri LeClaire, Reeves Vater, sitzt am Kopf des Tisches und lächelt seiner neuen Freundin zu, die sich als hervorragende Köchin erwiesen hat. Die ganze Mahlzeit über haben Gastgeber und Gastgeberin die Unterhaltung geschickt auf Football, Filme, Feierlichkeiten und ähnlich unverfängliche Dinge gelenkt. Reeve hat Amandas nett gemeinte Fragen überstanden und sitzt nun träge da und sieht zu, wie vertraut und zärtlich die beiden Paare miteinander umgehen. Das Baby kräht und legt das Gesichtchen in fröhliche Falten, und die ganze Familie kommt ihr wunderbar normal vor.
Ihr Vater schiebt den Teller weg und lehnt sich zurück. »Amanda, das muss das beste Essen gewesen sein, das ich je zu mir genommen habe.«
Amanda strahlt, während Reeve und Rachel sich einen Blick zuwerfen. Typisch Dad. Genau das hat er bisher bei jedem gemeinsamen Festmahl gesagt, an das sie sich erinnern können. Wahrscheinlich meinte er es ernst.
»Oh, Mann, diese Kürbissuppe«, fügt Rachel hinzu. »Du musst mir unbedingt das Rezept geben.«
»Ich schicke es dir per Mail«, erwidert Amanda.
»Und die Füllung!« Rachel erhebt sich und beginnt, das Geschirr abzuräumen. »Wildreis, Mandeln und was noch?«
»Butter, Butter und noch mehr Butter«, sagt Amanda und steht ebenfalls auf, um ihr zu helfen.
Reeve erhebt sich schnell und stellt die Teller zusammen. »Nein, Amanda, du bleibst sitzen.«
»Die Köchin muss nicht abräumen«, bestätigt Rachel. »Das ist Gesetz.«
»Und du, Rach, setzt dich auch. Du hast schon genug getan.« Reeve wedelt mit der Hand, um ihre Schwester wegzuscheuchen.
»Wirklich, überlasst das uns«, fügt Reeves Vater hinzu und legt Amanda eine Hand auf die Schulter. Er trägt die Platte mit dem restlichen Truthahn in Richtung Küche und sagt: »Wir machen schon mal Kaffee. Wer will Nachtisch?«
Allgemeines Stöhnen und Gelächter, während Reeve und ihr Vater in der Küche verschwinden. Sie arbeiten schweigend, stapeln Teller in der Spüle, packen Reste weg und wischen Arbeitsflächen ab. Die Küche ist klein, aber sie beide kennen sich gut darin aus und arbeiten Hand in Hand.
Reeve möchte etwas Nettes über die neue Lebensgefährtin ihres Vaters sagen, eine kluge Frau mit Stil, die er – zu Reeves Erstaunen – im Internet kennengelernt hat. »Ähm … Amanda tut dir gut, Dad. Ihr seid jetzt schon eine ganze Weile zusammen, oder?«
»Ungefähr neun Monate.«
Das
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