Und Nachts die Angst
Tillys erste Ausfahrt bisher –, und er ist gespannt darauf, sie zu sehen.
Sie kommt mit ihrer Mutter heraus, nur sie beide. Sie trägt Jeans und ein olivfarbenes Sweatshirt mit Kapuze, so dass ihr Gesicht verborgen ist. Das Mädchen wirkt in der Kleidung derart dünn, dass es wie ein kleiner Junge aussieht.
Rasch dreht Duke den Schlüssel in der Zündung, setzt zurück und verlässt seinen Wachposten. Er nimmt eine Abkürzung den Hügel hinab bis zur Ampel, und das Timing ist perfekt: Als er unten ankommt, biegen sie gerade vor ihm auf die Avenue. Er folgt ihrem goldenen Infinity durch die Stadt zu einem kleinen Einkaufszentrum, wo sie parken.
Er umfährt den vollen Parkplatz, ohne sie aus den Augen zu lassen. Sie gehen auf einen Friseurladen zu, und Duke stellt den Wagen in der Nähe ab.
Er sieht sich nach einem geeigneten Ort um und entdeckt ein chinesisches Restaurant, das perfekte Sicht auf den Friseur bietet. Er lässt sich einen Tisch am Fenster geben. Als der Kellner kommt, bestellt er das Tagesmenü, bestehend aus sauerscharfer Suppe, Frühlingsrollen und Zitronenhuhn mit gebratenem Reis und zum Nachtisch eine Art Pudding, den er nicht isst.
Die beiden bleiben ziemlich lange in dem Salon.
Er blickt hinaus und wartet.
Er hat sich die Rechnung geben lassen und nippt an einem Jasmintee, als Tilly herauskommt. Sie trägt die Haare jetzt sehr kurz und in einem Burgunderton, der dem von Reeve sehr ähnlich ist.
Duke legt Bargeld auf den Tisch und hat seinen Van erreicht, als Tillys Mutter gerade rückwärts aus der Parklücke fährt.
Er folgt ihnen im sicheren Abstand und lässt sich auf einer stark befahrenen Straße vier Autos zurückfallen. Dann jedoch fädeln die Cavanaughs sich auf eine Abbiegerspur ein und fahren in Richtung Osten, als die Ampel umspringt und Duke wohl oder übel stehenbleiben muss. Doch das Glück ist auf seiner Seite. Er sieht, wie Mrs. Cavanaugh nach rechts zu einem anderen Shoppingcenter abbiegt.
Während er auf Grün wartet, beobachtet er, wie sie aus dem goldenen Infinity steigen und quer über den Parkplatz gehen. Als er anfährt, sieht er gerade noch, wie sie die Jamba-Juice-Filiale betreten.
Er biegt auf den Parkplatz ein, und das Glück ist ihm wieder hold: Er findet einen Platz direkt neben dem Infinity. Behende klettert er zwischen den Sitzen durch auf die Rückbank, auf der der größte Teil seiner Ausrüstung liegt.
Als Tilly und Shirley Cavanaugh mit ihren Getränken herauskommen, hat Duke bereits das Aufnahmegerät aktiviert, das an seinem Seitenspiegel befestigt ist. Er hört das typische Tschirpen der automatischen Türentriegelung, die Mrs. Cavanaugh per Fernbedienung auslöst.
19. Kapitel
Sonntag
D uftet Popcorn nicht einfach himmlisch?« Tilly steht in Strümpfen in der Küche und sieht zu, wie ihre Mutter den Topf schüttelt.
Sobald das Prasseln der Maiskörner nachlässt, zieht ihre Mutter den Topf von der Herdplatte. Sie schüttelt ihn noch zweimal kräftig, so dass es noch vereinzelt knallt, dann kippt sie das dampfende Popcorn in eine große Holzschüssel, die sie Tilly reicht. Tilly beugt den Kopf darüber und atmet das Aroma ein.
Mrs. Cavanaugh lächelt. »Ihr zwei wisst, wie das mit dem DVD-Rekorder geht, oder?«
»Kein Problem«, sagt Reeve.
»Mom, natürlich«, sagt Tilly und verdreht die Augen.
»Gut. Weil ich es nämlich immer vergesse.«
Reeves und Mrs. Cavanaughs Blicke begegnen sich, und sie lächeln einander zu. Reeve ist sich sicher, dass Shirley Cavanaugh keinerlei Probleme hat, den DVD-Player zu bedienen, und es sich nur um eine mütterliche List handelt, mit der Tillys Selbstvertrauen aufgebaut werden soll.
Heute haben die drei sturmfreie Bude: Mr. Cavanaugh ist zur Highschool gefahren, um dem Basketballteam seines Sohnes beim Verlieren oder Gewinnen zuzusehen, also hat Mrs. Cavanaugh Reeve zu einem Videonachmittag eingeladen. Tilly hat sich einen berühmten Film über Vampire und viel Herzschmerz ausgesucht.
Reeve sitzt mit angezogenen Beinen auf der Couch neben Tilly. Es ist eigenartig, hier in der Gesellschaft dieses Mädchens zu sein: Sie und Tilly sind Opfer sehr ähnlicher Verbrechen. Sie beide wurden in sehr jungen Jahren aus ihrer sicheren und vertrauten Umgebung gerissen, ihrer Kindheit beraubt, viele Monate gefangen gehalten und grausam missbraucht, nur um sich zu dieser besonderen Stunde und an diesem besonderen Ort zu treffen – im Wohnzimmer eines hübschen Hauses in einem typischen Vorort mit einer Schüssel
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