Und Nachts die Angst
animalische Blick. Fast kann sie seinen stinkenden Atem riechen, sein Gackern hören, den trockenen Husten. Wenn irgendjemand es verdient hat, Krebs zu kriegen und daran zu sterben …
Reeve stöhnt.
Wann wird sie sich endlich aus diesem Sumpf herausziehen? Ihr Gerichtsverfahren ist längst beendet. Aber Tillys fängt gerade erst an. Und Reeve weiß nur allzu gut, was auf das Mädchen zukommt.
26. Kapitel
Dienstag
M it seinen zwölf Stockwerken ist das Jefferson County Jail mit Abstand das höchste und das teuerste Gebäude im Umkreis von zweihundert Meilen. Ein weitverbreiteter Spitzname lautet »Moores letzte Erektion«, da der Erbauer, Lester Moore (der sein ganzes Leben lang gegen Scherze wie »Moore is less« ankämpfen musste) in der Woche der Fertigstellung nur ein paar Stunden nach der Eheschließung mit seiner sechsten Braut verstarb.
Das neue Gefängnis, das seit knapp fünf Wochen in Betrieb ist, erhebt sich am Rand eines kontrovers diskutierten Neubaugebiets, das sich auf eine Länge von etwa zwei Meilen erstreckt. Zu den mit Steuergeldern finanzierten Gebäuden gehört auch ein extravagantes Rathaus mit Marmorsäulen und einem riesigen Springbrunnen.
Die Gefängnisfront ist so minimalistisch gehalten, wie das Rathaus überfrachtet ist: ein Betonblock auf nacktem Boden, auf dem sich hier und da ein paar kümmerliche Bäume recken. Karg auch die Landschaft hinter dem Klotz, wo Arbeiter mit schweren Maschinen den kalten Grund für den nächsten Bauabschnitt vorbereiten.
Vor vielen Jahren ist dieses Land ein hübscher Park gewesen, doch wo vorher Tennis- und Baseballplätze zum Spielen einluden, sind jetzt nur noch aufgerissene Erdschollen zu sehen. Ein gewaltiger Bulldozer entwurzelt Bäume und schiebt tonnenweise Erde und Steine zur Seite, um den Boden für den bevorstehenden Anguss zahlloser Kubikmeter Beton zu planieren. Es ist ein lärmendes Projekt, das kein Ende zu finden scheint. Der Bau des neuen Gerichtsgebäudes hat gerade erst begonnen und ist doch schon hoffnungslos hinter dem Zeitplan zurückgefallen.
In der nahen City von Jefferson steigt derweil in dem alten beengten Gerichtsgebäude, wo Randy Vanderholt dem Gericht vorgeführt werden soll, die Spannung.
Lange vor acht Uhr morgens stehen die Menschenmassen Schlange, um hereingelassen zu werden. Die Transporter mit den Satellitenschüsseln haben bereits ihre Gebiete abgesteckt. Sprecher und Sprecherinnen frischen ihr Make-up auf und proben die Einstiegssätze. Die alten Hasen der Branche sammeln Fakten und kommentieren zynisch, die jungen Reporter scherzen über Klatsch und pikante Einzelheiten. Jeder hofft, hier die ganz große Story zu landen. Eine Story, bei der Freiheitsberaubung, Vergewaltigung und weitere Anklagepunkte auf der Tagesordnung stehen, kann karriereentscheidend sein.
Niemand erwartet, dass sich Tilly Cavanaugh blicken lässt, aber alle haben das Gerücht gehört, dass ihr Vater nach der Anklageerhebung auf den Stufen zum Gebäude eine Erklärung abgeben will.
Die breite Doppeltür schwingt auf. Sicherheitsleute, die im Inneren postiert worden sind, lenken die aufgeregte Menge routiniert durch die Metalldetektoren.
»Tja, eine Waffe lässt sich heute wohl nicht einschmuggeln«, bemerkt ein Bürger.
»Schade eigentlich«, erwidert ein anderer trocken.
Die Wachen blicken finster, lassen sich aber nicht beirren. Dieser Austausch wird sich in der einen oder anderen Form noch wiederholen. Alle Welt verabscheut Kinderschänder, so war es schon immer, und früher hätten diese Leute gejubelt, wenn Randy Vanderholt gehängt worden wäre.
Und während die Menge im alten Gerichtsgebäude aufgeregt summt, wird Randy Vanderholt in dem funkelnagelneuen Gefängnis für den Transport vorbereitet. Teilnahmslos steht er da und sieht zu, wie ein Deputy ihm die Handgelenke und Fußknöchel fesselt. Die schwere Kette, die seine Schrittlänge einschränkt, rasselt, als Vanderholt von zwei Wachleuten flankiert aus der Zelle schlurft.
In Zukunft soll ein unterirdischer Tunnel vom Gefängnis zum neuen Gericht führen, aber heute eskortiert man Vanderholt durch einen Flur, schleust ihn durch eine schwere, tresorähnliche Tür, führt ihn einen weiteren Flur entlang und schubst ihn in einen Hochsicherheitsfahrstuhl. Surrend fährt der Aufzug abwärts ins Erdgeschoss, wo weitere Polizisten warten.
»Der Transporter ist bereit«, sagt einer.
Bis Vanderholt aus dem Gebäude geführt wird, ist sein Gefolge auf sechs Männer angewachsen.
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