Und nehmen was kommt
Schritt für Schritt aus dessen Erpressergeschäften zurückzuziehen beginnt, läßt sich schwer beurteilen. Er streut ihr, ist er gut aufgelegt, nach wie vor Rosen, kocht groß auf und greift sogar freiwillig nach Putzlappen und Staubsauger, aber paßt ihm eine schnippische Antwort, ein Verzweiflungsausbruch Monikas nicht in den Kram, reagiert er sofort mit einem gezielten Schlag. Eine Zigeunerliebe ohne Schläge für die Frau ist keine echte Zigeunerliebe, behauptet er ganz ohne Ironie, aber Monika denkt an Mutters Prügel für den Vater. Manchmal schlägt sie zurück, das bekommt ihr freilich nicht gut, denn dann läßt er erst von ihr ab, wenn sie auf dem Boden liegt und wimmert. Tapfer beißt sie die Zähne zusammen, dem gewohnten Reflex, nach körperlichen wie seelischen Verletzungen zum Trost postwendend eine Nase zu ziehen, gibt sie nicht nach. Da ist sie eisern.
Auch die Arbeit im Club hat sie mittlerweile eingeschränkt. Je weniger krumme Dinger Joe dreht, desto mehr sind die beiden allerdings auf Monikas Einnahmen angewiesen, denn einen ehrlichen Job, behauptet er, habe er trotz aller Anstrengungen noch nicht finden können, und auf liebgewordene Gewohnheiten wie ausgedehnte Lokaltouren, unmäßiges Saufen, kostspielige Drogen, Kartenspielen um einiges Geld, Zocken an Spielautomaten, diverse Sportwetten und heimliche Frauengeschichten kann und will er nicht verzichten.
Monika dagegen hat Joe hoch und heilig versprechen müssen, sich selbst beruflich nicht mehr intim anrühren zu lassen: Dominanz auf Distanz heißt die Devise. Wenn Männer sie für einen ganzen Tag buchen, mit ihr essen gehen und im Hotel übernachten wollen, möchte er so lange wie möglich dabeisein, um sie besser unter Kontrolle zu haben. Sie muß ihn als Bruder vorstellen, der längere Zeit zu Besuch ist, aber die Begeisterung der Freier über diese seltsame Dreierkonstellation hält sich in Grenzen, dem Geschäft ist sie jedenfalls nicht gerade förderlich.
Überhaupt gehen die Geschäfte jetzt allgemein schlechter. In New York haben sich Passagierflugzeuge in Hochhäuser gebohrt, Terrorangst, Racheschwüre, Säbelrasseln sind die neuen großen Themen, alle kann es an jedem Ort treffen, die Spaßgesellschaft der Neunziger ist von einem Tag auf den anderen wie ein Kartenhaus in sich zusammengebrochen. Deutschland wandelt sich vom Wirtschaftsmusterknaben zur Krisenregion, hunderttausende Arbeitsplätze gehen verloren, der private Konsum stockt, das Why not? macht da keine Ausnahme. Auch sind die Zeiten, da Monika sich als knackige Achtzehnjährige vermarkten ließ, als frühreifer, dominanter, unbekümmerter Teenager, unwiderruflich vorbei, die Spuren des Raubbaus an Körper und Seele stehen ihr nicht nur ins Gesicht geschrieben.
Magenschmerzen, Bauchweh, Übelkeit, davon wird sie seit zwei Jahren praktisch ohne Unterlaß begleitet. So dauert es fast zehn Wochen, bis sie realisiert, daß sie schwanger sein könnte. Endlich macht sie einen Test, das Ergebnis läßt keine Fragen offen. Monika ist nicht wirklich geschockt und hat keine Meinung dazu, ob sie das Kind wollen soll oder nicht. An sich, an ihre eigenen Bedürfnisse verschwendet sie dabei kaum einen Gedanken. Hätte sie einen sicheren Zufluchtsort, Menschen, die sie und ihr Baby vorbehaltlos unterstützen würden, sie wäre wahrscheinlich sogar glücklich über die Neuigkeit. Daß Joe solch ein Mensch sein könnte, wagt sie nicht zu glauben.
Kann sein, daß er sich freuen, daß ein gemeinsames Kind seine Aggressionen gegen sie eindämmen würde, es kann aber genauso gut das Gegenteil eintreten. Joe könnte ihr vorwerfen, es absichtlich gemacht zu haben, um ihn zu ärgern, um ihn an sie zu binden. Seine Eifersucht könnte sich auf das Kleine ausdehnen, nicht auszudenken, wenn er auch ihm gegenüber gewalttätig werden würde. Und das Kind selbst? In solche Umstände hineingeboren werden, was hätte es anderes zu erwarten vom Leben als die Karriere der Mutter, die des Vaters, Prostitution, Kriminalität? Sie sagt Joe vorderhand nichts, sie ist unfähig zu einer Entscheidung, wie lange sie legal abtreiben kann, weiß sie nicht.
Ob ihre gesundheitlichen Probleme von der fortschreitenden Schwangerschaft herrühren, ob der seelische Konflikt, möglichst rasch über Sein oder Nichtsein dieses Lebens in ihr entscheiden zu müssen, Verantwortung dafür trägt, wie sehr die konsequent abgesetzte Droge damit zu tun hat, sie weiß es nicht und weiht niemanden ein. Sie weiß nur, wenn
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