Und nie sollst du vergessen sein
querovale Deckengemälde war ein beliebtes Fotomotiv. Es zeigte die legendäre Gründung des Ortes durch den seligen Notker Balbulus von St. Gallen. Aber auch das groÃe Mittelbild, auf dem Christus mit seinem menschlichen Herzen als Sinnbild seiner Liebe und Barmherzigkeit umgeben von Leidenden und Hilfesuchenden zu sehen war, stand in der Gunst der Hobby-Fotografen ganz oben.
Seine Lieblingsbilder waren die Fresken auf beiden Seiten des Kirchenschiffs. Sie zeigten verschiedene Heilige, die als Fürbitter in den unterschiedlichsten Anliegen angerufen wurden: Die junge Agnes, die heilige Elisabeth von Thüringen, die heilige Mutter Monika, der selige Bernhard von Baden, der heilige Judas Thaddäus oder der heilige Familienvater Nikolaus von Flüe â er hatte sie in all den Jahrzehnten mehr als nur einmal angerufen. Doch inflationär war es erst in den vergangenen 15 Jahren geworden, und er konnte beim besten Willen nicht mehr sagen, wie oft er hier in einer der kargen Holzbänke gesessen, sich seine Seele ausgeweint und dabei um Charlottes Rückkehr gebeten hatte.
Vielleicht hätte ich Emma doch die ganze Wahrheit sagen sollen, dachte er. Von Marias Briefen und Charlottes letzten Worten, bevor sie ihn für immer verlassen hatte. Nun wusste er, warum sie sich in den Monaten vor der Wahl zur Rosenkönigin so komisch verhalten hatte.
Mit Wucht knallte er seine Faust auf die Rückenlehne der Bank vor ihm. Ein Schmerz durchfuhr seinen Körper.
Es vergingen mehrere Minuten, ehe er sich wieder halbwegs beruhigt hatte. Es war immer noch still. Totenstill. Von irgendwo her kam ein Windhauch und zog über ihn hinweg. Für einen Moment meinte er, die Tür sei aufgegangen, aber als er sich umdrehte, war niemand zu sehen.
Er saà zwar in einer der hinteren Reihen, aber dennoch konnte er den gesamten Altarbereich gut einsehen: Den Ambo in Form eines Barockengels, der ein Buch trägt, den marmorierten, zweisäuligen Aufbau und das übergroÃe Hochaltarbild, unter dem das Tabernakel stand.
Doch irgendetwas war anders heute. Irgendetwas schien zu fehlen. Er lieà seinen Blick erneut schweifen, doch es stand alles unverändert an seinem Platz: der Ambo, die Säulen, das groÃe Stephanus-Fresko, das Tabernakel.
Das Tabernakel. Das wars. Als er genauer hinsah, bemerkte er, dass das kleine Türchen, hinter dem der Priester die Monstranz aufbewahrte, offen stand. Doch der Aufbewahrungsort der Hostien schien leer zu sein.
Unruhig stand er auf, verlieà die Bankreihe und ging auf den Altar zu.
âWo war die Monstranz?â schoss es ihm durch den Kopf, als er plötzlich jemanden hinter sich wähnte.
zweiundfünfzig
Es herrschte gespannte Ruhe im kleinen Besprechungssaal der Waldshuter Polizeidirektion. Der Raum war erst vor Kurzem renoviert worden und erstrahlte in einem freundlichen Hellblau. Die alten Holzstühle waren modernen anthrazitfarbenen Plastiklehnstühlen gewichen. Ein Flipchart und ein Beamer waren auf einer Seite aufgebaut. Gegenüberliegend stand ein Beistelltisch mit verschiedenen Getränken und Keksen. Der Deckenfluter hüllte den Raum in ein warmes Licht.
Franz-Josef Bannholzer begrüÃte sein Team. Neben Stefan Alt und Karl Strittmatter waren weitere sechs Kollegen anwesend, dazu noch die Sekretärin, die auch in dieser Sitzung als Protokollantin mitschreiben sollte.
âVielen Dank, dass Sie alle gekommen sind. Und ich möchte Ihnen auch für die bisherige sehr intensive Arbeit danken, bei der sich mehr und mehr ein Verdächtiger herauskristallisiert. Die Rede ist von Reinhold Nägele.â Bannholzer legte eine dramatische Pause ein. Sein Blick ging einmal durch die Runde. Er schaute jeden seiner Untergebenen für den Bruchteil einer Sekunde an.
Nachdem er tief und für jeden gut hörbar Atem geholt hatte, setzte er fort: âEinzig: Uns fehlten die Beweise. Bis jetzt.â Er wandte sich an einen Mann mittleren Alters, den er erwartungsvoll fokussierte. Etwas blass um die Nase räusperte sich Hubert Maier, setzte sich aufrecht in den rutschigen Plastikstuhl und rückte seine Lesebrille zurecht. Ihm war diese ungeteilte Aufmerksamkeit fast etwas peinlich und doch wusste er, dass das, was er jetzt vortragen würde, die Ermittlungen ein gehöriges Stück voranbrachte.
âBei der Ãberprüfung seiner Konten, der Geldeingänge und â ausgänge und aller Transaktionen ist uns
Weitere Kostenlose Bücher