Und nie sollst du vergessen sein
sagte: âEmma, ich bin kein Mörder.â âDu solltest trotzdem unbedingt der Polizei von eurem Streit erzählen.â
âAber warum, was soll das bringen? Ich wecke doch nur schlafende Hunde, wenn ich den Beamten von unserer Auseinandersetzung erzähle. AuÃerdem wissen sie ja sicherlich davon, schlieÃlich haben viele Festbesucher unsere kleine Meinungsverschiedenheit mitbekommen.â
âDas mag sein. Du musst es trotzdem der Polizei erzählen.â Er schien über ihre Worte nachzudenken.
âVielleicht hast du recht. Aber mit dem Medaillon möchte ich wirklich nichts mehr zu tun haben. Es reiÃt bei mir nur alte Wunden auf. Vielleicht spendet es ja ihrem Vater den nötigen Trost. Auch wenn der falsche Name draufsteht.â Er gab Emma das kleine Schmuckstück zurück und verabschiedete sich: âIch möchte jetzt gerne alleine sein.â
Emma sah ihm nach, als er in der Pfarrkirche verschwand. Warum hatte er Charlottes Rosenmedaillon nicht behalten wollen? War es wirklich die tiefe, menschliche Enttäuschung oder erinnerte ihn das Schmuckstück an eine Zeit, die er längst aus seinem Gedächtnis gelöscht hatte? Eine Zeit voll Wärme und Zufriedenheit, voller Geborgenheit und Liebe? Oder war es, weilâ¦
Emma stockte. Sie wollte einfach nicht glauben, was ihre Gedanken ihr gerade als Ãberlegung vorgaben. Was, wenn er doch etwas mit Charlottes Verschwinden zu tun hatte, weil er sich an ihr gerächt hatte, als sie ihm von ihrer Affäre erzählte? Und wieder fiel ihr Maria Reisingers Satz ein: âHätte ich doch nur besser auf Charlotte aufgepasst.â Vielleicht wusste sie von dem Verhältnis und wollte Charlotte vor dem eifersüchtigen und jähzornigen Freund retten. Vielleicht hatte sie auch versucht, mit René Lusser über alles zu sprechen, wollte ihn vorbereiten auf das, was Charlotte ihm zu erzählen hatte. Aber warum sollte er den Bauern umgebracht haben? Und wenn, warum dann erst jetzt, anstatt es schon vor 15 Jahren zu tun, als seine Emotionen noch am Siedepunkt waren?
Emma beschlichen die Zweifel. Irgendetwas stimmte nicht mit ihren Vermutungen, das wusste sie. Und doch konnte sie nicht genau sagen, was es war.
Aber eins war klar: Sie musste hinter das Geheimnis des Medaillons kommen, sollten nicht noch weitere Menschen dem Mörder zum Opfer fallen
fünfzig
Er fragte sich noch heute, warum sie ihm das hatte antun müssen, wo er sie doch so sehr geliebt hatte und immer noch liebte. Alles, ja wirklich alles hätte er für sie getan, doch sie wollte nur ihre Freiheit. Eine Freiheit, die er unentwegt hatte aushalten müssen, ohne Maà und ohne Ziel, und die niemals geendet hätte. Wenn, ja, wenn er sie nicht aufgehalten hätte. Und darauf war er mächtig stolz. Stolz, endlich etwas Gutes, etwas Richtiges getan zu haben. Darauf wäre jetzt auch sein Vater sicher sehr stolz gewesen und hätte ihn dafür beglückwünscht, ihn dafür gelobt, ja, ihm vielleicht sogar dafür einen Fünfer zugesteckt, so wie er es damals ab und zu einmal getan hatte, wenn er mit einer Eins nach Hause gekommen war.
Er sah, wie sich langsam die Nacht über den Ort legte. Eigentlich liebte er viel mehr den Sommer mit seinen lebendigen Farben, den langen Tagen und kurzen Nächten. Baden gehen, Eis schlecken und seine Rosen blühen sehen. So sah ein perfekter Sommer aus. Aber auch der Herbst, vor allem der November, hatte seine guten Seiten. Nebel und Nacht, wie für mich gemacht, dachte er und versuchte mit seinen Händen nach den dichten Nebelschwaden zu greifen.
Sie waren seine Komplizen. So auch heute Abend. Denn es war wieder an der Zeit, sich um ein Problem zu kümmern, das es zu lösen galt. Eigentlich waren es mittlerweile zwei Probleme, aber das eine war noch dringender aus dem Weg zu räumen als das andere.
Reinhold Nägele hatte nie aufgehört, sich Gedanken um den Verbleib seiner geliebten Charlotte zu machen. Es waren allein diese Gedanken, die ihn antrieben, ihn funktionieren, ihn am Leben lieÃen.
Und genau diese Gedanken würden ihn nun töten.
einundfünfzig
Er saà da. Minutenlang. Regungslos. Reinhold Nägele konnte nicht mehr weinen, aber auf seiner grauen Strickjacke fanden sich Spuren von Tränen. Selbst bis auf das blaue Oberhemd waren die Tränen vorgedrungen. Er merkte nicht, wie einige Leute ihn von auÃen durch die Fenster
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