Und nie sollst du vergessen sein
Kopf eine Tasse Kakao mit aufgeschäumter Milch zu trinken. Doch so sehr sie sich auch mit diesem Gedanken anfreunden konnte, sie hatte keine Lust, erneut Richard Sutherfolk zu begegnen. Sie wollte, sie musste unbedingt noch einmal mit Reinhold Nägele sprechen, aber nur ihn allein, ohne seinen alten Freund, der ihr einfach nicht ganz koscher war. Irgendetwas sagte ihr, dass auch Richard Sutherfolk so seine Geheimnisse hatte. Und sie wusste, sie konnte sich auf ihre Intuition verlassen, wenn es darum ging, jemanden nach seiner Aufrichtigkeit beurteilen zu müssen. Doch das arrogante Gehabe des englischen Rosenzüchters, der nahezu kein Gespräch auslieÃ, um über seine bunten Lieblinge zu referieren, ganz gleich, ob man daran interessiert war oder nicht, hatte etwas, das Emma nicht genau einschätzen konnte.
Sie fröstelte. Die Temperaturen bewegten sich um den Gefrierpunkt herum und die Nebelschleier hatten immer noch eine Schwere, die den ganzen Ort zu erdrücken schien. Zumindest war dies Emmas Eindruck, und so lieà sie die Schulter hängen, als ob sie als Stütze die gesamte Last des Dorfes mitzutragen hätte.
Es hat alles eine unheimliche Magie, die einen anzieht und doch bewusst werden lässt, dass man nicht dazugehört, dachte sie, als plötzlich eine Katze ihren Weg kreuzte. Dasselbe Tier, das sie schon am Morgen gesehen hatte und das ein kleines Glöckchen um seinen schmalen Hals gebunden hatte. Es lugte aus einer kleinen Stallung heraus, bevor es vorsichtig, bedacht und jeden Schritt und jede Bewegung genau abschätzend über die StraÃe lief. Als sie Emma wahrgenommen hatte, beschleunigte die Katze ihren Gang und huschte in die gegenüberliegende Scheune. Fast so, als ob sie nie wirklich da gewesen wäre.
Der Ort schien wie ausgestorben zu sein. Durch den dichten Nebel konnte man die Umrisse der einzelnen Häuser, Scheunen und Gehöfte nur noch erahnen. Selbst das Zweifamilienhaus, in dem heute Morgen durch die beleuchteten Fenster noch so viel Leben nach auÃen gedrungen war, war vom Nebel nahezu völlig verschluckt worden. Emma konnte sich nicht daran erinnern, wann sie zuletzt einen so dichten Nebel erlebt hatte.
Der Nebel â mächtig, unwirklich und unentrinnbar.
Dieses Gefühl hatte sie auch, als sie Richard Sutherfolk in die Augen gesehen hatte. Augen, vor denen man Angst haben konnte. Dunkel, fast schon düster, tief und unberechenbar. So hätte sie die beiden Tore zu seiner Seele beschrieben, wenn ihre Psychologin Maya Kirscher-Kresch sie danach gefragt hätte. Doch der Mann, dem sie gehörten, war berechnend und zielstrebig und sie wusste, dass er sich von nichts und niemandem aufhalten lassen würde.
Immer wieder gingen ihr seine Worte im Kopf herum. Worte, die auch Reinhold Nägele aufhorchen lieÃen, obwohl die beiden seit mehr als 20 Jahren gute Freunde waren und sich sehr nahe standen, also alles miteinander teilten und angeblich auch keine Geheimnisse voreinander hatten, wie Reinhold Nägele heute Vormittag noch besonders betont hatte.
Was wollte dieser Mann nur andeuten, als er sagte, Charlottes Freund René sei ein Verlierertyp, ein Kerl, mit dem sie sich nur vergnügt habe, anstatt etwas Ernstes zu wollen, da sie viel eher auf reifere, lebenserfahrenere Männer gestanden habe? Und warum hatte er das zu ihr gesagt, zu einer Person, die er bis dato noch nie gesehen hatte, die ihm also völlig fremd war? Waren es nur Worte eines Wichtigtuers oder hatte es wirklich eine Affäre gegeben? Aber warum hatte ihr Charlotte nie etwas davon erzählt? Hatte sie vor ihr gar etwas zu verbergen gehabt? Zumindest hatte sie das Gefühl, dass Richard Sutherfolk mehr war als nur ein guter Freund der Familie.
Vielleicht kann ja Maria Reisinger mehr Licht ins Dunkel bringen, erinnerte sich Emma an ihr Vorhaben, der Lädele-Verkäuferin noch einen Besuch abstatten zu wollen. So ging sie, anstatt nach links in den Witznauweg abzubiegen, der zu ihrem Apartment und damit zum Haus der Villingers führte, weiter den Rosenweg entlang. GroÃe Gehöfte wechselten sich mit urgemütlichen und typischen Schwarzwaldhäusern ab, deren Besitzer bei der Renovierung, Sanierung oder einfach nur der Erhaltung der Häuser nicht nur auf jedes Detail geachtet, sondern viele Dachböden oder ehemalige Scheunen, die dem Haupthaus angegliedert waren, zu Ferienwohnungen mit Auszeichnung ausgebaut hatten.
Während im
Weitere Kostenlose Bücher