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Und nie sollst du vergessen sein

Und nie sollst du vergessen sein

Titel: Und nie sollst du vergessen sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Boehm
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fliederfarbenen Hausanzug – ein Kleidungsstück, das Emma beim Zappen durchs Fernsehprogramm bei einem Einkaufssender schon öfters gesehen und sich dabei jedes Mal gefragt hatte, wer so etwas Kitschiges und Hässliches und aus ihrer Sicht auch noch völlig Überteuertes kaufen und es dann auch noch tragen würde – und weißen Gesundheitsschuhen an den Füßen, die wohl ihre Hausschuhe darstellen sollten, wollte sie gerade in den unangenehm kalten Flur treten, als sie Emma bemerkte.
    â€žOh, haben Sie mich jetzt aber erschreckt.“
    â€žDas tut mir leid. Das war nicht meine Absicht. Ich war wohl etwas zu sehr in Gedanken versunken, als dass ich Sie rechtzeitig bemerkt hätte“, entschuldigte sich Emma.
    â€žDas macht doch nichts“, sagte die Frau, die sich als Luise Kampmann vorstellte und gerade im Begriff war, ihrem Mann eine Flasche Bier aus dem ihrem Apartment genau gegenüberliegenden Vorratsraum zu holen.
    â€žDa sind Sie nicht die Einzige.“
    Emma wusste nicht genau, ob sie mit ihrem Gesichtsausdruck die Frau zum Weiterreden animierte oder ob Luise Kampmann so oder so einfach weitergeredet hätte. Auf jeden Fall fühlte sie sich berufen, Emma ein Gespräch aufzudrängen.
    â€žAuf einmal ist nichts mehr so, wie es einmal war. Wir wollten doch einfach nur spazieren gehen, und dann liegt da plötzlich dieser Mann im See. Tot. Mausetot“, war Luise Kampmann bemüht, die richtigen Worte zu finden, während sie mit der einen Hand wie abwesend am Reißverschluss ihres Hausanzuges herumspielte.
    Emma, die gerade dabei war, die Schnürsenkel ihrer Schuhe zu lösen, richtete sich abrupt auf. Hatte Reinhold Nägele nicht erzählt, dass es Markus Villinger, der Sohn ihrer Vermieter war, der den alten Bauern zuerst gesehen hatte, fragte sich Emma, während sie mit dem rechten Fuß den linken Schuh abstreifte. „Das heißt also, Sie haben den Mann als Erstes gefunden und die Polizei angerufen?“, fragte Emma vorsichtig. Sie konnte gut nachvollziehen, was das für ein Gefühl gewesen sein musste, zum ersten Mal im Leben einen toten Menschen zu sehen. Das verändert alles, dachte sie und erinnerte sich dabei an ihren ersten Toten, einen Mann, der von einem Auto erfasst und mehrere Meter weit durch die Luft geschleudert worden war. Der Mann war furchtbar zugerichtet gewesen, da ihn der Aufprall auf das Fahrzeug eines 19-Jährigen so heftig erwischt hatte. Ein Arm war abgerissen und lag einige Meter entfernt, während eines der beiden Beine nur noch durch einen Hautfetzen mit dem Rumpf verbunden war. Das Gesicht war völlig zertrümmert und überall war Blut. Es war ein so schrecklicher Anblick gewesen, dass Emma minutenlang gegen das ständige Gefühl, sich übergeben zu müssen, angekämpft hatte. Sie erinnerte sich, wie sie am liebsten noch am gleichen Tag ihren Dienst quittiert und ihre Ausbildung abgebrochen hätte, wenn ihr ein älterer Kollege, der schon mehr als 20 Dienstjahre auf dem Buckel hatte und die teilweise übel zugerichteten Toten längst nicht mehr zählen konnte, nicht zugeredet hätte: „Mädel, an solche Anblicke wirst du dich schneller gewöhnen, als dir lieb ist. Vertrau mir.“ Und es stimmte: Auch Emma, so sehr sie sich bemühte, konnte mittlerweile nicht mehr genau sagen, wie viele Tote es waren, mit denen sie es in ihrer Laufbahn schon zu tun gehabt hatte.
    â€žJa. Es war einfach nur schlimm. Dabei, wenn ich ehrlich bin, hatte ich schon so ein ungutes Gefühl, als wir den Weg hinuntergelaufen sind und die Bäume sich so mächtig vor uns aufgetürmt haben. Man konnte den Eindruck gewinnen, sie würden uns mit ihren hohen Wipfeln drohen und davor warnen, weiterzugehen. Ich hätte auf diese innere Eingebung besser hören sollen, aber nein, ich musste ja unbedingt zum Witznaustausee. Dabei fand ich den in den Prospekten bisher immer so friedlich und unberührt.“
    â€žTja, diese Unschuld hat er wohl jetzt verloren, wenn man davon ausgeht, dass dort ein Mord geschah“, sagte Emma.
    â€žWobei ...“
    â€žJa?“
    â€žIch meine ...“, druckste Luise Kampmann ein wenig herum, ganz so, als ob sie nach den richtigen Worten suchen würde. „Als ich die Leiche zuerst gesehen habe, habe ich nur geschrien, aus Angst, der Mörder hätte sich irgendwo versteckt und würde noch einmal zurückkommen, weil wir ihn

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