Und nie sollst du vergessen sein
Entspannung eben andersâ, konnte sich Emma eine liebevoll gemeinte Spitze nicht verkneifen.
âNa, bei dem ganzen Trubel stelle ich mir das jetzt aber nicht besonders einfach vor. Ich meine, bis auf das Ertönen des Polizeihorns wurde ja in den vergangenen zwei Tagen das volle Programm geboten.â
âUnd was ist mit Ihnen? Wohnen Sie in Nöggenschwiel?â, fragte Emma.
âIch wohne in der Schweiz und habe jemanden besucht. Da ich noch unbedingt etwas einkaufen musste, aber keine Lust hatte, zum überfüllten Discounter in Tiengen zu fahren, habe ich schnell ins Lädele reinspringen wollen. Aber das hat sich ja nun erledigt. Also muss ich jetzt doch noch in die Stadt fahren und von da aus in die Schweiz. Kann ich Sie mitnehmen oder Sie bei dem Wetter wenigstens zu Ihrer Wohnung fahren?â
Wieder grinste der freundliche Schweizer. Doch Emma lieà sich nicht erweichen: âVielen Dank. Wirklich sehr zuvorkommend. Aber ich bin ja nun sowieso schon nass und ich habs ja nicht weit. Bis wir losgefahren sind, bin ich auch schon so gut wie in meiner kleinen Ferienwohnung. Aber trotzdem noch einmal vielen Dank.â
Ihr blies ein steifer Wind ins Gesicht, als sie sich von ihm entfernte.
âAuf Wiedersehen, und vielleicht sieht man sich ja noch einmalâ, rief er ihr hinterher. Er startete gerade den Motor seines Wagens, als ein Auto mit für dieses Wetter unangepasster Geschwindigkeit durch den Ort raste und kurz vor dem Lädele zum Stehen kam.
Emma drehte sich irritiert um. âDa ist heute geschlossenâ, sagte sie, als sie den Mann erkannte, der aus seinem weiÃen Auto stieg. Thomas Albiez, der wie immer einen gehetzten Eindruck vermittelte, blieb ungläubig stehen und fluchte: âVerdammt. Na dann muss ich Marias Kollegin eben morgen interviewen.â Er kam zu Emma herüber, die mittlerweile unter dem Vordach des Rathauses Unterschlupf gefunden hatte und dort auf ihn wartete.
Emma lächelte den Journalisten an, dem einige Regentropfen aus den gestylten Haaren heruntertropften.
âIch musste wenige Augenblicke zuvor auch erfahren, dass das Lädele geschlossen ist. Man ist da wirklich aufgeschmissen, wenn der einzige Laden im Dorf nicht geöffnet hat. Jetzt kann ich sehr gut nachvollziehen, wie es den Menschen ergehen muss, in deren Ort schon seit Jahren kein Tante Emma-Laden mehr angesiedelt ist und die für einen Liter Milch oder ein Päckchen Salz zehn oder mehr Kilometer bis zum nächsten Supermarkt fahren müssen. Der Mann, der gerade wegfuhr, als Sie kamen, muss jetzt auch das Notwendigste noch in Tiengen einkaufen gehen.â
âWaren wir nicht beim Du?â Thomas Albiez erwiderte Emmas Lächeln. Bei genauerer Betrachtung musste Emma feststellen, dass ihr Gegenüber bei Weitem nicht an das sympathische Lachen des attraktiven Schweizers herankam. âUnd weiÃt du eigentlich, wer der Mann eben war?â, fragte Thomas, der mit seinem Kopf in die Richtung zeigte, die der besagte Mann vor wenigen Augenblicken eingeschlagen hatte. âDas war René, Charlottes ehemaliger Freund. Was der hier wohl macht? Der wohnt doch in der Schweiz. Schon etwas eigenartig, für seinen Wocheneinkauf nach Nöggenschwiel zu kommen, oder?â
Emma überhörte die rhetorische Frage. Das war also der schon oft erwähnte und bei manchen auch so berüchtigte René Lusser, dachte sie. Wenn er früher nur halb so gut aussah, wie er es jetzt tut, dann muss er ein absoluter Hingucker gewesen sein. Kein Wunder, dass sich Charlotte in ihn verliebt hat, dachte sie.
âEs ist schon komisch, dass aber auch niemand weiÃ, wo Charlotte ist. Man hat das Gefühl, sie ist wie vom Erdboden verschlucktâ, sagte Emma mehr zu sich als zu ihrem Gegenüber.
âIhr kanntet Euch?â
âCharlotte und ich? Ja, wir waren Ferienfreundinnen, wenn man so will. Ich bin jedes Jahr mit meinen Eltern für zwei Wochen im Sommer nach Nöggenschwiel gefahren. Zuletzt vor 15 Jahren. Und genau seit dem Zeitpunkt gilt Charlotte als verschwunden. Wären wir damals doch erst am Sonntag nach Hause gefahren!â Emma schüttelte resignierend den Kopf. Immer und immer wieder dachte sie an den Samstag, den Tag des Rosenballs zurück. Sowohl sie als auch ihr Bruder hatten ihre Eltern damals regelrecht angefleht, noch einen Tag länger in Nöggenschwiel zu bleiben, war doch das Rosenfest mit der Disko am Samstagabend
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