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Und Nietzsche lachte

Und Nietzsche lachte

Titel: Und Nietzsche lachte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Quarch
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dass Sie – sofern Sie es sich in langen Feldforschungen in Espressobars angeeignet haben (sehr zu empfehlen, übrigens!) – zu sagen wissen, was man beachten muss, wenn man eine gute Espressotasse machen möchte. Wenn Sie also bei mir zu Gast sind und behaupten, die Idee (= Sinn) einer Espressotasse zu kennen, würde ich sagen: »Das wollen wir doch mal sehen«, Ihnen einen Klumpen Ton in die Hand drücken und Sie bitten, mir eine Espressotasse zu machen. Denn als alter Platoniker sähe ich Ihren Anspruch nur dann eingelöst, wenn Sie unter Beweis stellen können, dass Sie wissen, wie die mannigfaltigen Moleküle dieses Tonklumpens arrangiert sein sollten, damit aus dem ungestalten Vielen ein in sich stimmiges und in diesem Sinne be-stimmtes Ganzes entsteht; wie eine optimale, vollkommene Espressotasse beschaffen sein müsste. Denn die Idee (= Sinn), so wie Platon es vorschlägt, ist nichts anderes als die optimale Struktur, bei der die Mannigfaltigkeit der in ihr gestalteten Teile zu einem vollkommenen Ganzen gefügt ist. Sie ist, anders gesagt, die innere Stimmigkeit und Harmonie eines Phänomens. Sinnvoll ist die Espressotasse dann, wenn sie so gemacht ist, dass ES STIMMT – dass sie sich im Gebrauch bewährt und damit bejahbar ist.
    »Aber«, werden Sie jetzt sagen, »diese innere Stimmigkeit, dieses Gut-Sein der Espressotasse richtet sich doch ausschließlich danach, wofür sie gut ist – welchen Zweck sie erfüllen muss. Dieser Zweck entscheidet doch darüber, wie der Tonklumpen gestaltet werden muss, damit eine gute Espressotasse daraus wird.« – Richtig, bei Espressotassen ist das so, denn Espressotassen gibt es nur, weil sie einen bestimmten Zweck erfüllen sollen. Sie sind Menschenwerk. Deshalb tut es not, ihren Zweck zu kennen, wenn man ihren Sinn verstehen will. Aber das Wissen ihres Sinns bewährt sich erst dann, wenn wir – durch die Erfahrung im Umgang mit den Phänomenen – wissen, wie eine Espressotasse sein muss, damit sie diesem Zweck Genüge leistet. Ohne Kenntnis ihrer inneren Ordnung, ihrer inneren Struktur, bleibt unser vermeintliches Wissen um den Sinn (= Zweck) flach. Uns fehlen die Kriterien, um wirklich beurteilen zu können, ob wir eine konkrete Tasse gutheißen und bejahen können, wenn wir nicht wissen, wie eine optimale Espressotasse beschaffen sein muss.
    Das ist der entscheidende Punkt, an dem sich herausstellt, ob ich den Sinn einer Espressotasse verstanden habe oder nicht. Und zwar deshalb, weil diese Charakteristika einer Idee (= Sinn) – vollkommene innere Stimmigkeit, Ordnung, Struktur, Harmonie – sich auch da zur Klärung des Sinn-Ereignisses eignen, wo wir es mit Phänomenen zu tun haben, die nicht von Menschenhand um eines bestimmten Zweckes willen geschaffen sind. Und das sind noch immer mit Abstand die meisten: Blumen zum Beispiel, der Sternenhimmel oder Kunstwerke. Auch sie sind sinnvoll. Oder – platonisch gesprochen – auch sie erscheinen im Lichte von Ideen. Und das, obwohl sie vollkommen nutzlos sind; obwohl man nicht sagen kann, wozu sie gut sind. Weil sie einfach aus sich heraus gut, bejahbar, sinnvoll sind. Dem müssen wir noch etwas nachspüren.
    Die Stimmgabel. Sinn ist Harmonie
    Haben Sie frische Blumen im Haus? – Nicht? Schade. Sie sollten welche haben, denn Blumen sind sinnvoll. Und es schadet nie, sich mit Sinnvollem zu umgeben. Aber das ist ein anderes Thema, auf das ich später noch einmal zurückkomme. Wenn Sie also gerade keine Blume zur Hand haben, dann stellen Sie sich einfach eine vor. Damit ist auch schon viel getan.
    So, und jetzt frage ich Sie: Was ist der Sinn dieser Blume? – Hm, Sie stocken, Sie zögern. Verständlicherweise. Denn eines wird deutlich: Die Deutung von Sinn, die wir anhand der Espressotasse versucht haben, lässt sich nicht umstandslos auf die Blume übertragen. Anders als bei der Espressotasse lässt sich im Blick auf die Blume nicht so einfach sagen, wozu oder wofür sie gut ist. Anders gesagt: Sie können nicht auf die Schnelle den Zweck oder Nutzen einer Blume benennen. Auch wenn eine Blume sicher im Großen und Ganzen der Natur nützlich und zweckmäßig ist, so ist die Sinnhaftigkeit, die an ihr aufleuchtet, wenn wir sie offenen Auges wahrnehmen, dennoch nicht an eine solche Zweckmäßigkeit gekoppelt. »Die Ros’ ist ohn’ Warum. Sie blühet, weil sie blühet«, sagte der Mystiker und Barock-Dichter Angelus Silesius mit gutem Grund. Sie blüht. Und indem sie blüht, stimmt sie; indem sie blüht, ist sie in

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