Und Nietzsche lachte
Ordnung; indem sie blüht, ist sie bejahbar, gut und sinnvoll. Und auf eigentümliche Weise verstehen Sie diese Blume, indem Sie sie betrachten, ihren Duft riechen, ihre Blätter fühlen und womöglich sogar ihren Geschmack erproben. Sie sagen: »Wow, ist das schön!« und können die Blume gutheißen. Sie bejahen sie und finden sie sinnvoll – selbst wenn sie komplett nutzlos ist.
Die Symphonie der Erscheinung, dieses Miteinander unterschiedlicher Aspekte, lässt Sie die Blume zugleich gutheißen und als eine bestimmte Blume, etwa eine Rose, identifizieren. Das ist dann gar nicht so viel anders als bei einer Espresso- oder Cappuccinotasse. Aus Erfahrung wissen Sie, dass diese besondere Konstellation von Farbe, Form, Geruch, Gefühl, Geschmack eine Ganzheit bildet, die Sie Rose nennen. Sie haben einen Sinn für Rosen, der es Ihnen erlaubt, Rosen immer wieder als Rosen zu erkennen. Mit Sinn und Sinnlichkeit haben Sie Ihren Sinn für die Rose geschult, so dass Sie den Sinn der Rose kennengelernt haben. Und dieser Sinn ist nicht gemacht und nicht geschaffen. Er hat nichts von Nutzen und Zweck. Er ist nicht das Wozu der Rose, sondern er liegt in ihrem in sich stimmigen So-Sein. Und dieses in sich stimmige, harmonische So-Sein meinen wir, wenn wir unserer Sinnerfahrung mit der Rose, ihrer unbedingten Bejahbarkeit Ausdruck verleihen, indem wir sagen: »Ist die aber schön!« Denn im Lichte ihrer Idee zeigt sich die Rose nicht einfach nur als Rose, sondern dieses Licht verleiht ihr zudem den – apollinischen – Glanz der Schönheit, deren Geheimnis nichts anderes ist als eben Harmonie und ES STIMMT.
Um diesen Gedanken mit einer weiteren Erfahrung zu unterfüttern, möchte ich auf die Kunst zu sprechen kommen. Besonders auf die Musik, denn nichts kann das Geheimnis des Sinnsso einleuchtend zu verstehen geben wie Musik. Denken Sie dafür an ein Musikstück Ihrer Wahl – bitte instrumental, ohne Worte. Es geht darum, deutlich zu machen, dass Sie Musik verstehen können, und zwar auch dann, wenn sie vollkommen bedeutungslos ist, Ihnen also nicht etwas Bestimmtes zu verstehen geben will; anders also als bei »Peter und der Wolf«, wo das Fagott jedes Mal »Großvater« bedeutet. Aber solche Bedeutungen sind eine Ausnahme. Normalerweise bedeutet Musik nichts. Normalerweise verweist sie nicht auf etwas anderes und erfüllt auch keinen Zweck. Sie klingt einfach nur für sich, und so wie sie ist, ist sie doch absolut sinnvoll. Sie verstehen sie genau; und zwar ohne dass Sie sagen könnten, was genau Sie an ihr verstehen – keinen Zweck und keine Bedeutung.
Was ist es dann, das die Sinnhaftigkeit der Musik ausmacht? Meine Antwort kennen Sie schon: ihre Stimmigkeit, ihre Harmonie. Es ist ihre innere Ordnung, die sich im Fluss der Zeit immer wieder auflöst und immer wieder herstellt; und bei aller schöpferischen Freiheit dabei doch einer eigenen, unwiderstehlichen Logik folgt: der Logik der Resonanz. Wenn Sie selbst musizieren, kennen Sie das. Ob Sie es nun wollen oder nicht: Ein Orchester, ein Chor, aber auch Sie ganz allein für sich können gar nicht anders, als Dissonanzen in Harmonien aufzulösen. Das klingende System Musik verlangt unabweisbar und autoritativ nach innerer Stimmigkeit – nach Sinn. Es muss stimmen. Und es kommt nicht wirklich zur Ruhe, solange es nicht stimmt.
Darin ist Musik zugleich Metapher und Manifestation des Lebens. Denn was für das lebendige Klangsystem eines Orchesters gilt, lässt sich mühelos auf alle lebendigen Systeme anwenden: Alles, was lebt, ist auf innere Stimmigkeit und Harmonie angelegt. Sie auch. Ihr Körper sucht nach Balance, Ihre Seele sucht nach Gleichgewicht, Ihr Geist sucht nach Harmonie. Und nicht nur das: Auch in Ihrer Partnerschaft suchen Sie Gleichgewicht, in der Firma, im Verein; ja die ganze Gesellschaft, in der Sie leben, braucht inneres Gleichgewicht und inneren Einklang – und zwar so, dass dabei nicht alles über einen Kamm geschoren wird und alle Katzen für grau erklärt werden. In einer wahren Harmonie können die Einzelnen je für sich ganz sie selbst, dabei aber doch so zueinander ins Verhältnis gesetzt sein, dass ein Ganzes, Stimmiges dabei entsteht. Ganz so, wie ein Musikstück nicht dadurch überzeugt, dass nur noch ein Ton erklingt (das wäre ziemlich eintönig), sondern eine kaum überschaubare Fülle von Tönen so für sich klingen kann, dass ein stimmiges Ganzes dabei erschallt. Das ist Harmonie, das ist ein mit oder in sich resonantes System. Und das
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