Und Nietzsche lachte
über uns in Augenschein zu nehmen. Weil dort kósmos herrscht: eine vollkommene Ordnung und Harmonie, die sich hervorragend dazu eignet, uns Menschen darin zu unterstützen, die dort sichtbare schöne und harmonische Ordnung auch in uns zu finden – weil es eben nur ein Leben ist, das alles Seiende durchzieht. »Ein Vorbild [griech. parádeigma ] ist am Himmel aufgestellt für jeden, der zu sehen bereit ist – und das eigene Leben nach dem Gesehenen arrangieren will«, schreibt Platon in seinem Buch über den Staat . Und an anderer Stelle – im Timaios – beschreibt er dieses Maßnehmen an der kosmischen Harmonie als ein Programm der Seelen-Harmonisierung, wenn der Titelheld Timaios behauptet, Gott habe »uns Menschen das Sehvermögen verliehen, damit wir am Himmel die sinnvollen Umläufe beobachten, um sie für die Bahnen unseres eigenen Denkens zu verwenden, da diese doch mit jenen verwandt sind [die kosmischen Umläufe als Erscheinungsformen der Intelligenz der Weltseele, die menschlichen Denkbahnen als Erscheinungsformen der Menschenseele]; damit wir, indem wir sie verstehen und unser Denken gemäß dem natürlichen Wesen austariert haben, die vollkommen stimmigen Bahnen des Gottes nachahmen und unsere verirrten Bahnen des Denkens ihnen gemäß einrichten können.« Will sagen: Je mehr wir die Harmonie des Kosmos in Augenschein nehmen, desto harmonischer wird unsere Seele; je mehr Schönheit wir sehen, desto schöner werden wir selbst.
Was ist also das beste aller Kosmetika? – Richtig, Schönheit! Wenn Sie schön sein wollen, müssen Sie Schönheit konsumieren. Aber nicht irgendeine Schönheit. Nicht die Schönheit, die Ihnen die Werbeindustrie andrehen will; nicht die, von der Sie meinen, dass Sie Ihnen stehen müsste – und auch nicht die subjektive und von Menschenhand entworfene und vermarktete Schönheit, sondern die Schönheit, die schön ist, weil sie harmonisch ist – und die eben deshalb unbedingt bejaht werden kann.
Ich weiß, es ist absolut nicht en vogue, so etwas zu behaupten. Es ist sogar komplett uncool, den Standpunkt zu vertreten, dass Harmonie bzw. Stimmigkeit ein objektives Kriterium für Schönheit sei. Aber wenn alles Seiende auf Stimmigkeit angelegt ist und die Bejahbarkeit der Welt, der Dinge und des Lebens an ihrer Stimmigkeit hängen, dann ist es nicht ganz abwegig zu vermuten, die alten Denker könnten doch Recht gehabt haben, wenn sie sagten: Schönheit, das ist Harmonie.
Die gesamte griechische Kunst jedenfalls vertrat diese Auffassung. Das bezeugt ein Text des antiken Arztes Galenos, der darin Bezug nimmt auf ältere Kunsttheorien – allen voran die Auffassung von Schönheit, die Polyklet, der größte antike Bildhauer, in seiner verlorenen Schrift Kanon vertreten hatte: Die Schönheit aber, lehrte er unter Bezugnahme auf ältere Traditionen, »liege in der Symmetrie der Teile des Körpers, etwa des Fingers zum Finger, ihrer aller zur Mittelhand und Handwurzel, dieser beiden zur Elle und der Elle zum Oberarm und aller zu allem«. So dass man sagen könne, dass die Schönheit des Körpers in der Symmetrie liege, was im Übrigen »den Ansichten aller Ärzte und Philosophen« entspreche.
Auch nach dem Untergang der alten Welt waren sich die Kunstschaffenden bis weit ins 19. Jahrhundert hinein darin einig, dass ihr Job vor allem darin besteht, Schönheit zu erzeugen – und dass ihnen das in genau dem Maße gelingen würde, in dem sie harmonische Werke schufen. Besonders die Renaissance war nachgerade besessen von dieser Idee. Um Ihnen eine Kostprobe zu geben, lassen Sie mich den großen Theoretiker der Baukunst Leon Battista Alberti zitieren, der lehrte, dass »die Schönheit eine bestimmte gesetzmäßige Übereinstimmung aller Teile, was immer für einer Sache« sei, die darin besteht, dass man weder etwas hinzufügen noch hinwegnehmen oder verändern könnte, ohne sie weniger gefällig zu machen.
Unsere Museen sind voll von Werken, die diese Überzeugung aufs Getreueste bezeugen – Werken, die ganz nach den Gesetzen von Proportion und Balance konstruiert sind; die eine ganz und gar harmonische Verteilung von Licht und Farbe anstreben; die der Logik des Goldenen Schnitts folgen. Werke, die dabei voller Spannung und Lebendigkeit sind und die wir noch heute schön finden und genießen – sofern nicht bestimmte kunsttheoretische Konzepte der Moderne unseren Blick getrübt und unseren Geist für die klassische Schönheit unempfänglich gemacht haben.
Solche Werke ziehen
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