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Und Nietzsche lachte

Und Nietzsche lachte

Titel: Und Nietzsche lachte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Quarch
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uns noch immer an. Auch wenn sie längst nicht mehr dem entsprechen, was Kunst heute zu leisten beansprucht. Mir scheint, sie ziehen uns deshalb an, weil sie uns sinnfällig vom Sinn des Lebens künden, indem sie uns zeigen, wie es ist, wenn ES STIMMT – ja, dass ES STIMMT. Und weil sie – sofern wir sie auf uns wirken lassen – uns selbst in gute Stimmung bringen. Sie sind wie Stimmgabeln, die uns selbst harmonisieren, wenn es uns gelingt, in verstehender Resonanz mit ihnen zu schwingen. Ihre Schönheit macht uns schön.
    Nichts allzu sehr. Eine Coaching-Stunde in Delphi
    Erinnern Sie sich noch an die Lehre Wilhelm Schmids, des Philosophen der Lebenskunst? Wie sagte er doch sinngemäß? Jeder ist seines Glückes Schmied. Oder in seinen Worten: »Gestalte dein Leben so, dass es bejahenswert ist!« Oder: »Mache dir ein schönes Leben!« Und was meinen Sie: Wenn wir die Chance hätten, eine Coaching-Stunde bei Apollon zu nehmen, was würde der uns empfehlen? Dasselbe? Ja, so ziemlich dasselbe. Auch er würde sagen: »Sieh zu, dass du ein gutes Gleichgewicht findest! Bring dich in Harmonie! Sorge dich um deine Life-Work-Balance! Denn je mehr du mit dir im Einklang bist, desto mehr kannst du ›Ja!‹ zu dir sagen. Und je mehr du ›Ja!‹ zu dir sagst, desto besser kommst du an deine kostbaren Sinn-Ressourcen!« Naja, wahrscheinlich würde der Gott doch nicht so reden. Er mochte es lieber kurz und prägnant – treffend, wie ein Pfeil. Wer ihm in seinem Headquarter zu Delphi einen Besuch abzustatten gedachte, wurde mit ganzen vier Worten in zwei Sätzen bedacht – die allerdings die ganze apollinische Lebenskunst in Hochpotenz enthielten: » M e - dèn ágan « und » gnôthi sautón «. Zu Deutsch: »Nichts allzu sehr!« und »Erkenne dich selbst!«. So stand es auf den Giebeln seines Tempels, und so grüßte er alle, die von ihm Weisung erbaten.
    Was wollte der Gott damit sagen? Ich meine, er wollte damit sagen: Erkenne dein Maß! Finde deine Harmonie! Triff deinen Gleichgewichtspunkt! Denn dann triffst du mich. Dann blickt dich die Sinnhaftigkeit der Welt und des Lebens an, und das große »Ja« wird deine Seele durchdringen.
    Und jetzt versuche ich es noch einmal mit meinen Worten: Sieh dich an! Nimm dich wahr! Werde dir über dich selbst im Klaren. (Apollon liebte alles Klare, Durchsichtige, Fernsichtige. Wenn er reiste, war »Kaiserwetter«.) Und dann: Sorge für Integration, schließe nichts aus, blende nichts aus, nimm dich so, wie du bist, und verhalte dich zu dir selbst, wie ein Maler zu seinen Farben. Oder wie ein Komponist zu seinen Tönen. Arrangiere deine Gewordenheit, bring dich in Ordnung, suche deine innere Balance, auf dass du mit deinen Gefühlen und Gedanken im Einklang bist! Sorge für ein gutes Gleichgewicht deines Körpers, sorge für ein gutes Gleichgewicht deiner Gefühle, sorge für ein gutes Gleichgewicht deines Intellektes! Vermeide Übermaß und vermeide Mangel! Aber auch: Füge dich ein in dein Umfeld, sorge für Harmonie und Balance in deinen Beziehungen, in den Systemen, deren Teil du bist: in der Partnerschaft, der Familie, der Firma, der Gesellschaft! Integriere dich, stimme dich ein, integriere die anderen. Sorge für Einklang! Wie dem Dichter Hermann Hesse soll es dir gehen, der einst das große Glück des »Ja!« erlebte – die große Stunde, von der er berichtet: »Und ob ich ein gleiches oder ähnliches Glück noch andre Male in meinem Leben gekostet habe, tiefer und wirklicher konnte keines sein: die Welt war in Ordnung .« Und weiter: »Es bestand aus nichts, dieses Glück, als aus dem Zusammenklang der paar Dinge um mich her mit meinem eigenen Sein, aus einem wunschlosen Wohlsein, das nach keiner Änderung, keiner Steigerung verlangte.« Es war – wie ich ergänzen möchte – einfach nur schön.
    Aber diese Schönheit war nicht gemacht. Sie war nicht erfunden, sondern gefunden. Es traf sich, dass in einem begnadeten Augenblick die Welt in Ordnung war. Es war ein Geschenk, ein Schick sal, das wie ein Pfeil – aus weiter Ferne ge schickt – den Dichter traf. So zeigt sich Apollon seinen Lieblingen. Und wenn er sich gerade einmal nicht zeigt, dann bleibt doch seine Empfehlung der Suche nach dem inneren Maß als eine Anleitung zur Lebenskunst.
    Anders als die moderne bzw. postmoderne Lebenskunst setzt die apollinische Lebenskunst dabei aber nicht auf den »Willen zur Macht« oder die »Selbstmächtigkeit« des Einzelnen. Apollinische Lebenskunst heißt nicht: Deute dich

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