Und Nietzsche lachte
zu erspüren lernen, wie es sich anfühlt, wenn ES STIMMT. Im Dialog Timaios sagt Platon entsprechend: »Die musikalische Harmonie hält sich in Bewegungen, die den Strukturen unserer Seele verwandt sind. Und so ist sie all denen, die sich mit Sinn den Musen hingeben, […] ein Bundesgenosse in unserem Bemühen, die Disharmonien unserer Seele in stimmige Ordnung und inneren Einklang zu überführen. Auch der Rhythmus wurde von den Musen zum selben Zweck gewährt: um der bei uns allen weit verbreiteten Maßlosigkeit und dem Mangel an Anmut etwas entgegenzusetzen.«
Tanz und Gymnastik sind bei Platon für die Bildung so überaus wichtig, weil sie bis in das Körpergedächtnis hinein Gleichgewichtssinn und Balance einverleiben. Platon schlägt – anders gesagt – ein emotionales und motorisches Bildungsprogramm vor: ein Programm, bei dem es so oder so darum geht, auf dem Wege der Sinnlichkeit den Sinn für den Sinn zu schulen und zu schärfen. Und mir scheint, dass es uns Modernen und Postmodernen überaus guttäte, daran anzuknüpfen, wenn es uns denn wirklich darum zu tun ist, der allgegenwärtigen Sinnfinsternis ein bisschen Licht entgegenzusetzen; ein Vorschlag, den übrigens auch die Erkenntnisse zeitgenössischer Hirnforscher wie Gerald Hüther bestätigen.
Okay, bei Platons Bildungsprogramm zur Schärfung des Sinns für den Sinn bleibt es nicht bei den motorischen und emotionalen Basiskenntnissen. Die kognitive Bildung kommt bald dazu, zunächst auf den Feldern der Arithmetik und Geometrie, später dann auch der Astronomie und Harmonielehre. Bei alledem aber geht es nie darum, möglichst viel Wissen und Qualifikation zu vermitteln. Sondern stets geht es um ein möglichst umfassendes Sich-Einschwingen und Sich-Einstimmen auf die wichtigste Kompetenz überhaupt: das Gewahren von Stimmigkeit und mithin Sinn auf allen Ebenen – motorisch, emotional, kognitiv. Es geht um eine Ausbildung des Sinns für den Sinn, die es dann auch in schwierigen und dunklen Zeiten erlaubt, mit dem aufflackernden Sinn des Lebens in Resonanz zu gehen und so das lebenserhaltende »Ja!« auszusprechen.
Wenn Sie also sich und Ihren Kindern den Weg zu diesem Licht bahnen wollen, wenn Sie Ihren Kindern eine Chance geben wollen, ihr Leben als sinnvoll zu erleben und darin zu bejahen: dann lassen Sie sie musizieren, dann lassen Sie sie tanzen, dann lassen Sie sie Sport und Gymnastik treiben. Sorgen Sie dafür, dass sie lernen, wie gut es sich anfühlt, wenn ihr Körper in einem harmonischen Gleichgewicht ist; wenn sie sich in die große Symphonie der Töne eines Orchesters oder Chors eingliedern; wenn sie sich tanzend im Einklang mit sich und der Welt erleben. Wenn der Sinn für den Sinn solcherart einverleibt ist, dann werden Ihre Kinder auch Spaß am kognitiven Lernen haben: weil sie die Schönheit und Harmonie der Welt in der Mathematik wiedererkennen, ebenso in der Physik und Biologie, ebenso in der Astronomie und Quantentheorie. Meinen Sie nicht auch, dass es Zeit für ein neues Bildungssystem wäre? Eines, das es darauf angelegt sein lässt, Menschen dazu zu befähigen, mit sich und der Welt in Einklang zu sein – sich und das Leben gutzuheißen, Sinn zu erfahren und Sinnvolles zu tun?
Das beste aller Kosmetika: Schönheit
Den Sinn des Lebens erschließen heißt: mit sich und der Welt im Einklang sein; die eigene Seele in ein harmonisches Gleichgewicht fügen; in dieser harmonischen Seelenstimmung in Resonanz sein mit dem Sinn, der uns aus der Welt entgegenstrahlt. Und wie strahlt er uns entgegen? – Naja, darauf gibt es keine eindeutige Antwort. Aber eines lässt sich dann doch sagen: Wo Schönheit uns begegnet, da leuchtet auch Sinn auf. Denn angesichts des Schönen geht uns immer das große »Ja!« über die Lippen. Darin bin ich mit Wilhelm Schmid völlig einig – auch wenn ich meine, dass wir diese Schönheit nicht nach Maßgabe unseres Wollens und unserer Selbstmächtigkeit selbst kreieren können, sondern dass sie nach Maßgabe der Harmonie und Stimmigkeit eines schönen Phänomens in unser Leben strahlt. Deswegen würde ich anders als er auch nicht sagen: »Mache dir ein schönes Leben!«, sondern: »Suche Schönheit, gibt dich ihr hin und lass dich von ihr in Ordnung bringen – auf Einklang stimmen!«
So jedenfalls hätten es wohl die alten Griechen – von Thales bis Platon – beschrieben. Um zu verdeutlichen, was sie meinten, hätten sie uns vermutlich dazu ermuntert, den Blick zu heben und den gestirnten Himmel
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