Und Nietzsche lachte
schön.
Des Lebens Schönheit aber ist nicht gemacht. Nicht, weil wir uns in Schmids Sinne ein schönes Leben machen, ist das Leben schön. Eher müsste man sagen: Obwohl Menschen dauernd versuchen, die Welt nach ihrem Bilde zu entwerfen, hört das Leben nicht auf, schön zu sein. Denn die Schönheit des Lebens liegt gerade darin, dass sie sich uns entzieht – dass dieses scheinbar so unbedeutende Leben, das mir zugefallen ist, doch ein so ganz und gar zauberhaftes Wunder ist. Das Wunder, dass es sich trotz all des Unsinns und Irrsinns, trotz dieses ganz normalen Wahnsinns, der uns fesselt und den ich nie wollte, zu einer spannungsvollen Harmonie fügen kann, die nur, weil sie all diese chaotischen und irren Anteile vereint, schön und bejahbar ist. Keine seichte Harmonie aus spannungslosen rosa Wölkchen, sondern eine wahnsinnige Harmonie, die einen um den Verstand bringen kann; und deshalb auch von keinem Verstand gewollt, gemacht oder entworfen werfen kann.
Schönheit und Bejahbarkeit des Lebens, so will mir scheinen, entziehen sich unserem Wollen. Sie sind unserem Machen entzogen und ereignen sich dann, wenn es sich trifft. Und das große Wunder des Lebens besteht darin, dass es von sich aus darauf angelegt ist, dass es sich trifft: dass Harmonie entsteht und Ordnung dem Chaos abgetrotzt wird.
Friedrich Cramer hat in seinem Buch Chaos und Ordnung minutiös gezeigt, wie Recht Johannes Kepler doch hatte, als er 1594 in seinem Mysterium Cosmographicum schrieb, die Welt sei harmonisch. Denn »je tiefer wir in die Zusammenhänge eindringen, desto mehr Harmonien entdecken wir«. Ja, ganz so, wie es schon die alten griechischen Philosophen erlebt und gedacht hatten, lasse sich allenthalben beobachten, dass Harmonie und Schönheit sich ganz von allein einstellen, wenn man »Chaos unter bestimmten, rückgekoppelten Bedingungen sich selbst ›aufschaukeln‹ lässt«. Schönheit könne als eine »Flucht nach vorne« beschrieben werden, die genau dann entsteht, wenn ein lebendiges System »gerade noch vor dem Chaos ausweichen kann«; sie sei eine »Gratwanderung« und »ein mathematisch begründbares Gesetz auf der mathematisch fixierbaren Grenze zwischen Ordnung und Chaos«. Deutlich macht Cramer das am Beispiel des sogenannten Goldenen Schnitts, einer Proportion, die nicht nur als Strukturgesetz überall in der Natur auftaucht, sondern die uns – ob wir nun wollen oder nicht – immer dort, wo wir ihr begegnen, schön erscheint. »Der Goldene Schnitt ist die irrationalste aller möglichen irrationalen Zahlen und hat darum gleichzeitig etwas mit Chaos zu tun«, erklärt Cramer, und trotzdem oder gerade deshalb finden wir ihn unausweichlich schön. Was ihn schließlich zu der für uns bedeutenden Schlussfolgerung veranlasst: »Schönheit ist offenbar da am ergreifendsten, am deutlichsten dort, wo sie an die Grenze zum Chaos vorstößt, wo sie ihre Ordnung freiwillig aufs Spiel setzt. Schönheit ist eine schmale Gratwanderung zwischen dem Risiko zweier Abstürze: auf der einen Seite die Auflösung aller Ordnung in Chaos, auf der anderen die Erstarrung in Symmetrie und Ordnung. Nur auf diesem gefährlichen Grat entsteht Schönheit, wird Gestalt.« Nur auf diesem gefährlichen Grat entsteht Sinn, nur dort kommt uns das siegreiche und jubelnde »Ja!« entgegen; dieses Ja, das aus dem spannungsreichen Miteinander von Apollon und Dionysos erwächst.
Verstehen Sie jetzt, warum ich so auf den alten Griechen herumreite? Und sehen Sie mir nach, dass ich bei ihnen bleibe? Ich glaube wirklich, dass wir gut daran tun, ihre Weisheit für die Gegenwart neu zur Sprache zu bringen. Denn an Chaos haben wir wahrlich keinen Mangel. Und an erstarrter Ordnung auch nicht. Nur die Kunst, beides zusammenzubringen – die ist uns abhandengekommen. Die Folge: Sinnfinsternis. Was für eine Tragödie!
Incipit Tragoedia – Nietzsche und sein Ja zum Leiden
Mal ganz was anderes: Finden Sie eigentlich, dass Zinedine Zidane böse war? – Sie wissen doch: Zidane, dieser geniale Fußballer, der bei der WM 2006 Frankreich ins Finale führte und dann in der Verlängerung, ich glaube, es war die 109. Minute, auf wundersame Weise zum Bock mutierte und seinen Bewacher – so eine ganzkörpertätowierte Ausgeburt der Unterwelt namens Materazzi – mit einem Kopfstoß vor die Brust niederstreckte. Zidane flog vom Platz, und Frankreich verlor das Elfmeterschießen. So war das. Und da frage ich Sie nun: War Zidane böse? War er ein Arsch? Oder – war er
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