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Und Nietzsche lachte

Und Nietzsche lachte

Titel: Und Nietzsche lachte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Quarch
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trotz all des Grauens und all des Leidens – aus der Gewissheit, dass dieses Leben in all seiner Widersprüchlichkeit doch gut und schön und sinnvoll ist.
    Das sollte uns zu denken geben: Ihnen und mir! Ich meine: Es sollte uns eine Ermutigung sein, die Weisheit des Tragischen neu zu beherzigen, die Weisheit einer Weltsicht, die – um es noch einmal mit Nietzsche zu sagen – »das Vorhandene vergöttlicht, gleichviel ob es gut oder böse ist«; die Weisheit einer Weltsicht, auf deren Grund die griechische Kultur gebaut war; der das Sein heilig war und nicht der Wille – und die sich deswegen immer wieder der Welt und dem Kosmos anvertrauen konnte.
    Ich denke, dieser Weg steht uns auch heute noch offen. Ja, er steht uns vielleicht offener denn je. Denn die gegenwärtige Sinnfinsternis bringt zutage, dass die alten moralischen und metaphysischen Strategien der Sinn-Deutung und Sinn-Erfahrung nur noch bedingt erfolgreich sind. So gibt es immer mehr Menschen, die angesichts der großen Krisen der Gegenwart anfangen, an der Heiligkeit des Willens zur Macht und den Glücksverheißungen einer selbstmächtigen Lebenskunst zu zweifeln; zumal für die meisten der alte Gott tot ist und sie sich nicht mehr darauf vertrösten lassen wollen, den Sinn ihres Lebens im Jenseits zu finden. Gleichzeitig schält sich mit den neuesten Erkenntnissen der Wissenschaft eine neue Weltsicht heraus, die all das zu bestätigen scheint, was die alte griechische Philosophie lehrte. So muss sich heute auch niemand mehr fürchten, als ewiggestriger Metaphysiker verspottet zu werden, wer zu denken wagt, dass Sinn, Harmonie und Schönheit objektive Realitäten des Lebens sind, und dass es ein objektives Gesetz allen Lebens ist, in allen Dimensionen – körperlich-physikalisch, seelisch-psychologisch, geistig-spirituell – darauf angelegt zu sein, mit sich und seiner Umgebung in Harmonie und Resonanz zu schwingen. Ja, ich bin davon überzeugt, dass wir uns auf ein wissenschaftliches Weltbild hinbewegen, das Nietzsches scharfe Attacke gegen alles Objektive und Absolute korrigieren wird; das neu zu denken gibt, dass Ordnung und Struktur, Schönheit und Wahrheit, Gutes und Sinn eben nicht die gespenstischen Erfindungen eines Platon und seiner Epigonen sind, sondern reale Aspekte der Wirklichkeit, die wir überall finden und erfahren können. Und die zu finden und zu erfahren uns den Mut gibt, auch die dunklen und abgründigen Seiten des Lebens anzuschauen. Nicht länger Tod und Krankheit, Leid und Sterben auszublenden und an die Peripherie unserer Lebenswelt zu verbannen, sondern sie zu integrieren in ein umfassendes Selbstverständnis von Gesellschaften und Individuen, die an keine Verheißungen von Leidfreiheit und Sicherheit mehr glauben und stattdessen die Tragik allen Lebens anerkennen und bejahen.
    Ganz im Ernst: Ich glaube, eine solche Weltsicht, ein solches Lebensgefühl würde uns allen gut tun. Wir würden endlich dem »ganz normalen Wahnsinn« unseres rastlosen Lebens entkommen, wenn wir unser und aller Leben in seiner Widersprüchlichkeit und Gebrechlichkeit bejahen könnten und nicht dauernd den Illusionen von Sicherheit, Leidfreiheit und Bedeutsamkeit nachjagen müssten; wenn wir die Sinnhaftigkeit unseres Lebens auch oder gerade in seiner Tragik erfahren könnten. Meinen Sie nicht auch, dass wir diesen Weg einschlagen sollten – zurück in die Zukunft einer bejahbaren Welt, die nicht von Sinnfinsternis bedeckt ist, sondern im hellen Licht des Sinns erstrahlt?
    Tja, aber wie kommen wir dahin? Lebenskunst? Ja, Lebenskunst, aber nicht die philosophische Lebenskunst der Postmoderne, die darauf setzt, Sinn nach Maßgabe des eigenen Wollens und Schönheit nach Maßgabe des eigenen Schaffens zu stiften; sondern eine apollinisch-dionysisch-tragische Lebenskunst, die es sich erlaubt, die dunklen Seiten des Lebens zu beweinen und sich an den hellen Seiten des Lebens zu freuen; die sich nicht scheut, dem Grauen in die Augen zu sehen und trotzdem »Ja!« zum Leben zu sagen; die darauf verzichtet, die so allgegenwärtige, verzweifelte Frage der von Sinnfinsternis Geschlagenen zu stellen: »Was habe ich vom Leben zu erwarten?« – sondern mit sokratischer Gelassenheit fragt: »Was erwartet das Leben von mir?« Das jedenfalls wäre eine Lebenskunst ganz im Sinne eines Viktor Frankl, der lehrte, wir müssten dahin kommen, »dass wir nicht mehr einfach nach dem Sinn des Lebens fragen, sondern dass wir uns selbst als Befragte erleben, als

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