...und noch ein Küsschen!
ausgeglichenes Gemüt zu bewahren. Ich habe diese morgendliche Fahrt alles in allem etwa zehntausendmal gemacht, und ich genieße sie von Tag zu Tag mehr. Im Laufe der Jahre (unwichtig, aber interessant) bin ich zu einer Art lebender Uhr geworden. Ich kann jederzeit sagen, ob wir zwei, drei oder vier Minuten Verspätung haben, und ich brauche nicht aufzuschauen, um zu wissen, an welcher Station wir halten.
Was den Weg von der Cannon Street zu meinem Büro betrifft, so ist er weder zu lang noch zu kurz – ein gesunder kleiner Spaziergang inmitten eines Stromes von Menschen, die ebenso wie ich jeden Morgen in die Stadt fahren und mit zuverlässiger Pünktlichkeit ihrem Arbeitsplatz zustreben. Es gibt mir ein Gefühl der Sicherheit, mich in Gesellschaft so vieler ordentlicher, vertrauenswürdiger Menschen zu wissen, die einen festen Beruf haben und sich nicht in der Welt herumtreiben. Ihr Leben wird wie das meine von dem Minutenzeiger einer genaugehenden Uhr bestimmt, und in vielen Fällen kreuzen sich unsere Wege täglich zur gleichen Zeit und am gleichen Ort.
Wenn ich zum Beispiel in die St. Swithins’s Lane einbiege, kommt mir unweigerlich eine elegante Dame in mittleren Jahren entgegen, die einen silbernen Kneifer trägt und eine schwarze Aktentasche bei sich hat – eine erstklassige Buchhalterin, würde ich sagen, oder eine leitende Angestellte in der Textilindustrie. Überquere ich bei grünem Licht die Threadneedle Street, so treffe ich in neun von zehn Fällen einen Herrn, dessen Knopfloch jedenTag mit einer anderen Blume geschmückt ist. Seine Hosen sind schwarz, seine Gamaschen grau, und er ist offensichtlich ein pünktlicher und äußerst gewissenhafter Mensch, ein Bankier vielleicht oder ein Anwalt wie ich selbst. Seit fünfundzwanzig Jahren eilen wir morgens aneinander vorbei, und wir haben des Öfteren einen flüchtigen Blick der Achtung und Anerkennung gewechselt.
Mindestens die Hälfte aller Gesichter, denen ich auf diesem kurzen Weg begegne, ist mir seit langem vertraut. Und es sind gute Gesichter, Gesichter, die mir liegen, Menschen, die mir liegen – solide, fleißige Geschäftsleute, ohne jene Unruhe und die glitzernden Augen, die man bei den sogenannten Intellektuellen sieht, bei diesen Typen, die die Welt auf den Kopf stellen wollen mit ihrer Labour-Regierung, ihrer sozialen Gesundheitsfürsorge und allem, was sonst noch dazugehört.
Sie sehen also, dass ich in jeder Beziehung ein zufriedener Mensch bin. Oder vielleicht sollte ich lieber sagen, dass ich ein zufriedener Mensch war. Zu der Zeit, da ich die kleine autobiographische Skizze schrieb, die Sie eben gelesen haben – sie war als Mahnung und Beispiel für die Angestellten meines Büros bestimmt –, gab ich völlig wahrheitsgetreu das wieder, was ich dachte und fühlte. Aber das liegt eine volle Woche zurück, und inzwischen ist etwas sehr Merkwürdiges geschehen. Es begann am letzten Dienstag, gerade an dem Morgen, als ich den Entwurf dieser Skizze in der Tasche trug, und alles traf der Zeit und den Umständen nach so genau zusammen, dass ich darin nur eine Fügung Gottes sehen kann. Ja, Gott hatte meinen kleinen Aufsatz gelesen und sich gesagt: «Dieser Perkins wird mir zu selbstgefällig. Es ist höchste Zeit, ihm eine Lektion zu erteilen.» Ich glaube aufrichtig, dass es so war.
Am letzten Dienstag also, dem Dienstag nach Ostern, einem warmen, sonnigen Frühlingsmorgen, trat ich, die
Times
unter dem Arm, meine Skizze in der Tasche, auf den Bahnsteig unserer kleinen Station und merkte sofort, dass irgendetwas nicht in Ordnung war. Ich
fühlte
geradezu die eigenartige kleine Protestwelle, die durch die Reihen meiner Mitreisenden lief.
Ich machte halt und sah mich um.
Der Fremde stand genau in der Mitte des Bahnsteigs, breitbeinig, die Arme über der Brust gekreuzt, als wäre er hier der Herr und Gebieter. Er war ein ziemlich großer, kräftiger Mann, der es fertigbrachte, sogar von hinten unerhört arrogant und geschniegelt zu wirken. Ganz entschieden gehörte er nicht zu uns. Er trug einen Spazierstock statt eines Regenschirms, seine Schuhe waren braun statt schwarz, der graue Hut saß ihm lächerlich schief auf dem Kopf, und irgendwie schien dieser Mensch zu viel Seide und Glanz an sich zu haben. Ich hatte keine Lust, ihn noch länger zu betrachten. Starr in die Luft blickend, ging ich an ihm vorbei und gab, wie ich von Herzen hoffe, der Atmosphäre, die bereits kühl war, einen Anflug von Frost.
Der Zug fuhr ein. Und
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