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...und noch ein Küsschen!

...und noch ein Küsschen!

Titel: ...und noch ein Küsschen! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roald Dahl
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und wilden, schneidenden Dissonanzen – eine Musik, die so mächtig ist, dass sie uns verrückt machen würde, wenn unsere Ohren darauf eingestellt wären, sie zu hören. Ja, das ist durchaus möglich   … Und nicht nur das. Es kann dort sogar   …»
    «Ja», unterbrach ihn der Arzt, «aber es ist nicht sehr wahrscheinlich.»
    «Warum nicht? Warum nicht?» Klausner deutete auf eine Fliege, die auf einer kleinen Rolle Kupferdraht saß. «Sehen Sie diese Fliege? Was für ein Geräusch macht sie jetzt? Keines – soweit wir hören können. Aber wer sagt uns, dass sie nicht wie verrückt in den höchsten Tönen pfeift oder bellt oder krächzt oder singt? Sie hat doch einen Mund, nicht wahr? Sie hat eine Kehle!»
    Der Arzt blickt lächelnd auf die Fliege. Er stand noch immer an der Tür, halb zum Gehen gewandt. «Und das wollen Sie also herausfinden?», fragte er.
    «Vor einiger Zeit», berichtete Klausner, «fertigte ich ein einfaches Instrument an, das mir das Vorhandensein vieler unhörbarer Geräusche bewies. Oft habe ich dagesessen und beobachtet, wie die Nadel meines Instruments Klangschwingungen in der Luft anzeigte, die ich nicht hören konnte. Und
das
sind die Laute, die ich gern hören möchte. Ich möchte wissen, woher sie kommen und wer oder was sie hervorbringt.»
    «Und der Apparat, an dem Sie da arbeiten? Wird der Ihnen ermöglichen, diese Geräusche zu hören?»
    «Vielleicht. Wer weiß? Bis jetzt ist es mir noch nicht geglückt. Aber ich habe einige Veränderungen vorgenommen, und heute Abend werde ich’s nochmal versuchen. Dieser Apparat   –» Klausner legte die Hand darauf – «soll Klangschwingungen, die für das menschlicheOhr zu hoch sind, auffangen und sie in hörbare Töne umwandeln. Ich stelle ihn ein, beinahe wie ein Radio.»
    «Wie meinen Sie das?»
    «Eine ganz einfache Sache. Angenommen, ich möchte das Piepsen einer Fledermaus hören, also einen ziemlich hohen Ton – etwa dreißigtausend Schwingungen in der Sekunde. Das normale menschliche Ohr kann ihn kaum hören. Aber wenn nun eine Fledermaus in diesem Raum herumflöge, dann bräuchte ich den Apparat nur auf dreißigtausend einzustellen, und schon würde ich das Piepsen ganz klar hören. Ich würde sogar den richtigen Ton hören – f oder b, was es gerade ist   –, nur die
Tonhöhe
wäre viel niedriger. Verstehen Sie?»
    Der Arzt sah auf den langen schwarzen Kasten. «Und das wollen Sie heute Abend versuchen?»
    «Ja.»
    «Na, dann viel Glück.» Dr.   Scott blickte auf seine Uhr. «Du meine Güte, ich muss ja weiter. Auf Wiedersehen. Und vielen Dank, dass Sie es mir erklärt haben. Ich komme mal vorbei und frage, ob es geklappt hat.» Er ging hinaus und schloss die Tür hinter sich.
    Klausner bastelte noch eine Zeitlang an den Drähten in dem schwarzen Kasten herum; dann richtete er sich auf und sagte in einem leisen, erregten Flüstern: «So, jetzt machen wir noch einen Versuch   … Diesmal im Garten   … Vielleicht   … vielleicht   … ist der Empfang dort besser. Hoch damit   … Vorsichtig   … Mein Gott, ist das schwer!» Er trug den Kasten zur Tür, merkte, dass er die Tür nicht öffnen konnte, ohne den Kasten abzusetzen, trug ihn auf die Werkbank zurück, öffnete die Tür, nahm den Kasten und trug ihn mit einiger Mühe in den Garten. Auf dem Rasen stand ein kleiner Holztisch, und dort setzte er seine Last behutsam ab. Dann holte er aus dem Schuppen einen Kopfhörer. Er stülpte ihn über die Ohrenund schob die Stecker in den Apparat. Seine Hände bewegten sich flink und zielsicher. Aufgeregt, wie er war, atmete er laut und schnell durch den Mund. Er sprach noch immer mit sich selbst, beruhigend und ermutigend, als hätte er Angst   – Angst, dass der Apparat nicht funktionierte, und Angst vor dem, was geschehen würde, wenn er funktionierte.
    Er stand im Garten neben dem Holztisch, so blass, klein und dünn, dass er einem greisenhaften, schwindsüchtigen, bebrillten Kind glich. Die Sonne war untergegangen. Kein Lüftchen regte sich, kein Geräusch war zu hören. Vom Rasen aus konnte er über einen niedrigen Zaun in den Nachbargarten sehen, wo eine Frau mit einem Blumenkorb zwischen den Beeten umherging. Er betrachtete sie eine Zeitlang, dachte aber dabei an etwas ganz anderes. Dann wandte er sich dem Kasten auf dem Tisch zu und drückte einen Hebel an der Vorderseite herunter. Er legte die linke Hand auf den Lautstärkeregler und die rechte auf den Drehknopf, mit dem sich ein Zeiger über eine große

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