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Und oben sitzt ein Rabe

Und oben sitzt ein Rabe

Titel: Und oben sitzt ein Rabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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zerfledderten Jeans und zerschlissenen Latschen stand er an der Haustür. Im Gegensatz zu anderen brauchte er nicht zu Matzbach aufzuschauen, denn er war noch ein bißchen länger als dieser, wenn auch nicht im entferntesten so fett. »Post«, erklärte er weitschweifig.
    »Willst du Briefträger werden?«
    Hoff trug einen Stapel von Briefen unter dem Arm. Während sie zur Treppe gingen, sagte er: »Bin ich doch schon, wie du siehst, du feistes Ungeheuer. Hast du gefrühstückt?«
    Oben angekommen – Matzbach prustend – gingen sie in die Wohnküche. Hoff suchte nach einem sauberen Becher und goß Kaffee für Matzbach ein. Danach ergriff er seinen noch halbgefüllten Becher und hockte sich auf die Tischkante. Mit geschickten Fingern drehte er eine Zigarette.
    Baltasar musterte ihn mißbilligend. »Seit wann drehst du denn?«
    Hoff hob die Schultern. »Seit ich mir keine Zigaretten mehr leisten kann.«
    Matzbach rührte in seinem Becher. »Mich bewegt eine Frage. Wie kommt es, daß du unten, an den Briefkästen stehend, hörst, wenn ich oben bei dir klingle?«
    Hoff leckte den Klebstreifen des Zigarettenpapiers ab und hängte das Produkt in den linken Mundwinkel. Während er ein Streichholz an der Wand anriß, erwiderte er undeutlich; »Das ist ganz einfach. Ich habe nichts gehört, aber auch durch das Milchglas der Haustür ist deine Silhouette unverkennbar.«
    »Was aber, o luchsäugiger Milchglasvoyeur, treibst du so früh am Tag dort unten? Bist du unter die Korrespondenzler gegangen?«
    Hoff exhalierte und klopfte auf den Stapel von Briefen. »Das sind Schreiben von bedeutenden Männern unserer Volkswirtschaft.«
    Matzbach nickte. »Dachte ich mir. Teilen sie dir in wohlgesetzten Worten mit, daß sie zu ihrem unaussprechlichen Vergnügen deine Mitarbeit in ihren Unternehmungen weiterhin werden entbehren wollen?«
    Hoff langte nach einem herumliegenden Messer mit Spuren von Margarine und Marmelade, wischte es an der Hose ab und nahm den obersten Brief. Er zerschlitzte das reichlich bedruckte Büttencouvert, zog ein Blatt heraus und überflog die wenigen Zeilen.
    Matzbach betrachtete den Vorgang schweigend. Ein Brief nach dem anderen wurde seziert, obduziert, klassifiziert und relegiert; in der dafür vorgesehenen Ablagenische zwischen Herd und Boiler wucherte bereits ein Meter.
    Hoff nahm die halbgerauchte Zigarette aus dem Mund, klemmte sie zwischen die Spitzen von Daumen und Mittelfinger und schnipste sie in den Spülstein, in dem sie zischend neben ihren Schwesterkippen des Morgens verlosch.
    »Ja, ja«, murmelte er, » ›Ihre Unterlagen erhalten Sie mit getrennter Post zurück. Wir danken für Ihr Interesse‹.«
    Matzbach räusperte sich. »Vielleicht hättest du etwas Anständiges lernen oder jetzt endlich einmal an Umschulung denken sollen.«
    Hoff wackelte mit den Zehen; das Schauspiel war halböffentlich, dank des Zustands der umgebenden Socken. »Was denn, deiner Meinung nach?«
    »Na, Dachdecker vielleicht, oder Pirat, Papst, Papagallo, Petrochemiker, Päderast, was weiß ich. Jedenfalls ist der Zustand eines arbeitslosen Philosophen absurd.«
    Hoff schüttelte den Kopf und schob das Kinn vor. »Pillosophen sind nie arbeitslos. Sie denken unausgesetzt.«
    Matzbach faltete die Hände auf dem Tisch. »Alle Ausgesetzten, Aussätzigen, Insassen und Aussassen tun das. Das ist nichts Besonderes.«
    »Du hast bei deinen widerlichen Wortspielereien die Hintersassen und die Freisassen vergessen. Und den Sassafras.«
    Matzbach beäugte mißtrauisch den Becher, dann nahm er einen Schluck Kaffee zu sich. »Hör mal, bist du über deine Arbeitslosigkeit hinaus beschäftigt?«
    Hoff rutschte vom Tisch und setzte sich vorsichtig auf einen Stuhl, dessen Beine an beginnender Altersarthritis litten. »Natürlich. Ich schreibe Bewerbungen, lese Stellenanzeigen, zerbreche mir den Kopf und mache Schulden. Ich habe also keine Zeit für dummes Zeug.«
    »Wann, lieber Freund, hättest du Zeit für dummes Zeug? Wenn du einen Job hättest?«
    »Nein, dann wäre ich beschäftigt.«
    »Also nie?«
    Hoff kniff den Mund zusammen. »Worum geht es denn?«
    Matzbach folgte mit den Blicken einigen Fliegen, die auf dem Rand des Marmeladenglases balancierend zu einem Flug durch die Küche starteten. »Um ein oder zwei kleine Morde.«
    »Um Himmels willen. Wen hast du umgelegt? Soll ich dich ins Ausland schmuggeln?« Er beugte sich vor und war ganz besorgt.
    Matzbach grunzte. »Nichts dergleichen. Ich habe beschlossen, rätselhafte

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