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Und oben sitzt ein Rabe

Und oben sitzt ein Rabe

Titel: Und oben sitzt ein Rabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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her.
    Matzbach breitete eine Karte auf der Motorhaube seines Wagens aus und zog mit einem Kugelschreiber eine Art Halbkreis um Beuel.
    »Hier. Wenn der Tacho fünfundvierzig zeigte, dann kann man ungefähr zehn abziehen für Fahrten in Bonn. Ihr Enkel hat bestimmt keine Fähre benutzt, um auf die linke Rheinseite zu kommen, an so was würde er sich wohl erinnern. Die nächste Brücke oberhalb von Godesberg ist bei Neuwied, das ist zu weit und scheidet also aus.«
    Er musterte kritisch den Halbkreis.
    »Wenn er große Umwege gefahren ist, kann ihn das ja durchaus bis ins Bergische Land gebracht haben.«
    Großvater Goldberg schüttelte den Kopf. »Glaub ich nicht.« Er wies auf die Gegend östlich von Köln, ohne sich auf einen bestimmten Punkt festzulegen. »Von da aus wäre er über die Flughafenautobahn nach Bonn zurückgefahren.«
    Baltasar nickte. Den Auskünften nach hatte Andreas Goldberg ausdrücklich betont, er sei auf lieblichen Landstraßen durch den Morgen gebummelt, also schieden Autobahnen ebenso aus wie die einigermaßen häßliche Strecke Neuwied-Honnef-Königswinter, die außerdem am Rhein entlang verläuft, und vom Rhein hatte der Delinquent ebenfalls nicht gesprochen.
    Matzbach strichelte eine zweite Linie, ungefähr einen Viertelkreis östlich und südöstlich von Beuel. »Hier irgendwo, ungefähr fünfunddreißig Kilometer von Beuel entfernt, dürfte er getankt haben. Das kann Richtung Altenkirchen gewesen sein, aber auch Richtung Eitorf.« Er seufzte. »Daß die Menschen aber auch immer so unbedachte Schritte unternehmen müssen.«
    Er pfiff auf den Fingern und brüllte »Poe!«, dann, als das nichts bewirkte, »Rabenaas!« Irgendwo raschelte es, und der Vogel landete auf Baltasars Schulter.
    »Ich werde jetzt ein bißchen diesen Wagen bewegen und den Tank leerfahren. Vielleicht kommt etwas dabei heraus.«
    Goldberg nickte. Baltasar kletterte wieder hinter das Steuer, steckte den Schlüssel ins Zündschloß und wartete, bis das Vorglühen beendet war. Dann startete er den Motor, der unter Ächzen duftige Wölkchen absonderte. Als er den Rückwärtsgang einlegte und aus dem Schuppen herausschoß, klopfte Goldberg auf das Dach. Matzbach kurbelte das Fenster herunter.
    »Ja?«
    Der Großvater grinste. »Schnallen Sie den Raben an, er greift Ihnen sonst in die Gangschaltung!«
    Poe hüpfte auf dem Beifahrersitz auf und ab, sprang dann auf die Rückenlehne und gähnte. Baltasar bedankte sich mit einem gehobenen kleinen Finger für den Raben-Rat und fuhr los.
    Kurz nach sieben bog er hupend wieder auf Goldbergs Grundstück ein. Es wurde dunkel und empfindlich kalt.
    »Ach ja«, sagte Baltasar traurig, als er mit dem fröstelnden Raben auf der Schulter die Küche betrat, »die schönen Tage von Aranjuez sind nun vorüber.«
    Goldberg blickte vom Herd auf, an dem er mysteriöse Mischungen erhitzte. »Spät kommt Ihr, doch Ihr kommt.«
    Matzbach nickte und deutete eine rituelle Verbeugung an. »Der lange Weg säumt meine Entschuldigung«, erwiderte er. Seufzend ließ er sich auf einen Stuhl sinken.
    Goldberg schob den Unterkiefer vor. »Wein?«
    Baltasar nickte. »Und Kaviar für den finsteren Pfadfinder«, sagte er mit einer Kopfbewegung nach rechts, zum geschulterten Poe.
    Goldberg langte eine mit feuchten Lappen zur Kühlung umwickelte Flasche aus einer Ecke hervor, entwickelte sie, zog vorsichtig den Korken heraus und stellte zwei Gläser auf den Tisch. Nachdem er sie gefüllt hatte, nahm Matzbach einen vorsichtigen Schluck und schüttelte sich.
    »Brrr, das zieht einem ja die Löcher in den Socken von innen zu! Riesling?«
    Goldberg nickte. »Guter alter«, sagte er fast liebevoll, »das heißt junger, aber wie früher, ohne Zucker.«
    Baltasar nahm einen weiteren Schluck und grunzte schon beifälliger. Goldberg bestrich eine Scheibe Graubrot mit gesalzener Butter, schmierte eine Schicht Erdbeermarmelade darüber, garnierte die Angelegenheit mit Zwiebelringen und krönte alles mit einigen Tupfern Senf. Dann schnitt er es in winzige Stückchen und schob es dem Raben hin, der von Baltasars Schulter hüpfte und munter zu speisen begann.
    »Das Tier«, sagte Matzbach ungläubig, »muß krank sein.«
    Goldberg nahm den Topf vom Herd und teilte den Inhalt gerecht; einen der überhäuften Teller stellte er vor Matzbach, mit dem anderen begab er sich an die andere Seite des Tisches und setzte sich.
    »Essen!«
    Baltasar schnupperte und strahlte. »Ah, die Köstlichkeiten der oberen und der unteren Sphäre,

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