Und oben sitzt ein Rabe
Kilometer bis zur Grenze, aber die liegt hinter uns. Er geht von der DDR weg.«
»Er wird seine Gründe haben.«
»Wer hat die nicht? Aber: Wohin geht er? Hier sind wir jetzt. In die Richtung geht er, sofern er geht. In einer Woche ist er in Bad Kissingen. Ob da noch andere Orte zwischenliegen, kann ich dieser vermaledeiten Karte nicht entnehmen. Er könnte genausogut, um eventuelle Verfolger zu irritieren, und vielleicht hat er uns ja gesehen, also, er könnte genausogut nur hier ausgestiegen sein, um uns an der Nase herumzuführen.«
»Schwierig, bei deinem Zinken.«
Matzbach schnaubte. »Und dann geht er nach Süden, ein bißchen später nach Westen, dann nach Norden, überquert diese Straße, auf der wir uns befinden und von der die Karte nichts weiß, und geht schließlich doch in Richtung DDR. Wenn er dann noch nach Nordosten schwenkt, ist er in ein paar Tagen in Schmalkalden. Da kann er sich mit irgendwelchen Leuten vom Land verbünden.«
»Hör doch mit deinen Kalauern auf, um des Satans willen.«
Matzbach faltete die Karte zusammen und starrte düster aus dem Fenster. »Die Frage ist, was machen wir jetzt?«
Hoff zündete sich eine neue Zigarette an. »Ich weiß was. Wir fahren zum nächsten Restaurant, dort lädst du mich zu einem reichhaltigen Mahl ein, und dann fahren wir gemütlich zurück nach Bonn und vergessen den ganzen Stuß.«
Baltasar ließ den Motor an und wendete den Wagen. Er fuhr bis zur letzten Kreuzung zurück.
»Da«, sagte er nach einem gründlichen Blick auf die Hinweisschilder; »wie du siehst, gibt es in dieser Einöde menschliche Siedlungen.«
Hoff nickte. »Ja; deine scharfsinnige Analyse dieser Schilder überzeugt mich.«
»Deshalb, o Henry, werde ich dich jetzt an einem passenden Punkt absetzen.«
Er wendete abermals. Hoff blickte ihn von der Seite an. »Wieso Punkt, und inwiefern passend?«
Matzbach fuhr langsam und starrte angestrengt auf die Landschaft rechts und links der Straße. Er sagte nichts. Etwa einen Kilometer jenseits des Punktes, an dem Fricke das Taxi verlassen hatte, gab es auf der rechten Seite unweit der Straße einen Hügel. Baltasar bremste.
»Hier«, sagte er, wobei er auf den Hügel deutete, »wirst du dich bitte sehr placieren und die Augen offenhalten.«
Hoff protestierte. »Ich weiß nicht, ob ich das werde. Wozu soll das gut sein?«
»Von da oben kannst du ziemlich weit gucken. Wenn der Genosse Ministerialrat irgendwo den Kopf hebt, kannst du ihn, wenn überhaupt, höchstens von da oben sehen.«
Er stellte den Motor ab und öffnete die Tür. Mit dem Zündschlüssel winkte er aufmunternd. Hoff seufzte und stieg aus. Matzbach verschloß sorgfältig die Türen und erstieg den Hügel. Oben angekommen spähte er nach Süden und Südwesten. Eine gräuliche, monotone Landschaft breitete sich aus, die bald abzufallen schien. Matzbach zog die Karte aus seiner Jackentasche und studierte sie noch einmal. »Wir sind hier«, murmelte er, »ungefähr achthundert Meter hoch, vielleicht ein bißchen mehr. Da drüben« – er wies nach Westen – »scheint ein Tal zu sein, wahrscheinlich ein Flußtal. Ich gäbe was für eine genauere Karte. Hm.«
Er faltete die Karte zusammen und starrte auf die merkwürdige Gegend, in der Fricke verschwunden war.
»Sieht aus wie ein Hochmoor«, sagte er. »Aber das kriegen wir noch raus. Teurer Freund, halte du treulich die Wacht, bis ich wiederkehre, zu lösen die Bande.«
Hoff zertrat den Rest seiner Zigarette. »Mir gefällt es hier nicht. Ich möchte jetzt gern eine Couch haben, ein großes Pils und eine sehr entgegenkommende Kellnerin.«
Baltasar spuckte aus. Dann versenkte er die Pranke in der abgründigen rechten Außentasche seiner Jacke, und als er sie wieder hervorzog, war eine Pistole darin. Er reichte sie Hoff, der sie mit spitzen Fingern entgegennahm.
»Falls«, sagte Matzbach betont lässig, »Fricke ein Schelm ist und bisweilen Anwälte samt deren Kebsen killt, ist es ratsam, vorsichtig zu sein. Kannst du mit so was umgehen?«
Hoff betrachtete das Gerät in seiner Hand. Er hielt die Pistole, als sei diese eine bißbereite Kobra. »Nein«, sagte er gequält, »bis vor kurzem wohnte ich in einer westlichen Demokratie, in der so was nur in der öffentlichen Hand liegt.«
Baltasar grinste. »Nicht zu vergessen, neben dem Gewaltmonopol der Bürokratie, auch das gelegentliche Aufflammen ritterlicher Duellgefühle bei Ganoven.«
Hoff musterte die Pistole immer noch.
Baltasar klopfte ihm auf die Schulter.
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