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Und oben sitzt ein Rabe

Und oben sitzt ein Rabe

Titel: Und oben sitzt ein Rabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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»Wenn es dringend wird, einfach mit dem richtigen Ende auf den Anlaß der Dringlichkeit zielen und an diesem netten Hebel ziehen.«
    »Wann wird es dringend?«
    Baltasar blickte noch einmal in die Runde und dann auf seine Uhr. »Hm, kurz nach drei. Das gibt uns noch ungefähr drei Stunden Tageslicht, oder? – Der Platz hier hat den Vorteil, daß man weit sehen kann. Und den Nachteil, daß man gut gesehen wird. Aber keiner kann ungesehen nah genug herankommen, um dringend zu werden, mein Lieber, also reg dich nicht auf. Außerdem bin ich in einer Viertelstunde oder so wieder hier. Ich wird jetzt mal eben ins nächste Dorf rasen, versuchen, dort eine Karte und ein paar Auskünfte zu kriegen, und dann komm ich wieder. Mach's gut.«
    Er grüßte spöttisch und kletterte wieder zu seinem Wagen hinunter. Hoff setzte sich unglücklich auf einen großen Stein knapp unterhalb der Hügelspitze und betrachtete abwechselnd die Pistole und die Landschaft.
    »Man muß warten, bis es dringend wird«, murmelte er dabei. »Bei mir ist im Moment etwas anderes viel dringender. Aber an solche Nebensächlichkeiten denkt natürlich ein großer Geist nicht. – He!« brüllte er hinter Matzbach her, der gerade seinen Wagen wieder aufschloß, »bring Klopapier mit, hörst du? Ich weigere mich, ohne Papier weiter Räuber und Gendarm zu spielen!«
    Matzbach winkte, zeigte ihm einen Vogel und stieg ein. Dann wendete er den Wagen und jagte los.
    Nach einer halben Stunde kam er zurück. Prustend erklomm er den Hügel, warf Hoff eine Rolle Papier in den Schoß und setzte sich neben ihn.
    »Da«, sagte er, »für hinterlistige Zwecke. – Irgendwas Besonderes?«
    Hoff schüttelte den Kopf und reichte ihm die Pistole, sichtlich froh, das Ding wieder loszuwerden.
    »Nee«, sagte er erleichtert, »einmal dachte ich, ich hätte da drüben eine Bewegung gesehen, aber das war wohl nichts.«
    Matzbach nickte und breitete eine Detailkarte auf dem Boden aus. »Hier sind wir. Du hattest die letzten fünfunddreißig Minuten das Privileg, allein und Aug in Aug einem der berühmtesten Hochmoore des Vaterlandes gegenüberzuhocken. Dieses ist das Schwarze, weiter unten findet sich das Rote Moor.«
    Er zog mit dem Finger ein paar dünne Linien nach, die aussahen wie die Schleifspuren einer Schwarzfußfliege, die die Karte bewandert haben könnte.
    »Das sind Wege durch die Moore, Knüppeldämme und so. Wir werden jetzt, sobald du deine Geschäfte erledigt hast, ein wenig hineinspazieren und nachsehen, ob wir den teuren Vermißten entdecken. Natürlich nur von fern.«
    Hoff verzog das Gesicht. »Hast du eigentlich überhaupt kein menschliches Empfinden? Nun willst du mich auch noch durch ein Moor jagen? Kann man da wieder rauskommen, oder werden wir in tausend Jahren anthropologische Kuriositäten sein?«
    Matzbach erhob sich und faltete dabei die Karte wieder zusammen. »Ich hab noch zu viele erfreuliche Dinge zu erledigen, als daß ich jetzt die Beförderung zur Moorleiche anstreben wollte. Und dann auch noch an deiner Seite, pah. – Sieh zu, daß du schnell fertig wirst.«
    Er kletterte abwärts, zum Wagen. Nach ein paar Minuten folgte Hoff. Er setzte sich auf den Beifahrersitz.
    Matzbach startete den Wagen wieder. »Na, hast du erfolgreich eine anthropologische Kuriosität deponiert?«
    Hoff zog es vor, nicht zu antworten. Sie fuhren zu der Stelle zurück, wo Fricke verschwunden war und ein kleiner Weg begann. Baltasar fuhr einige Meter weiter, wo er den Wagen am Straßenrand abstellen konnte. Dann machte er aufmunternde Handbewegungen, denen Hoff seufzend nachkam.
    Nachdem sie einige Minuten gegangen waren, verengte sich der Weg. Matzbach zog die Karte heraus und betrachtete sie mit zusammengekniffenen Brauen. »Aha.«
    Hoff blickte ihn an. »Was ahast du?«
    Matzbach hielt ihm die Karte unter die Nase. »Da, noch ein bißchen weiter, und wir sind richtig schön drin. Und dann gabelt sich der Weg, und dann wird es lustig.«
    Hoff reichte ihm die Karte zurück. »Angenehme Gegend, reichliche Vegetation; jüngst sah ich auch ein Wisent, und irgendwo da vorn hockt bestimmt jemand mit Blasrohr und Giftpfeilen.«
    Matzbach antwortete nicht; er stapfte voran.
    Nach etwa einer Viertelstunde erreichten sie die Stelle, an der sich der Weg gabelte.
    Baltasar zog erneut die Karte zu Rate. »Ich schätze, es kommen nur zwei Möglichkeiten in Frage, rechts oder links.«
    Hoff nickte. »Weise. Mehr Möglichkeiten gibt es ja auch nicht. Außer nach oben und nach unten.

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