Und plötzlich gehörst du ihm...
Gitter vor dem
Eingangstor des Gefängnisses zu. Vor dem Gitter blieben wir stehen. Mike
stellte sich vor mich. Er legte mir die Hände aufs Gesicht. Zunächst sanft,
dann mit stärkerem Druck, bis seine Finger sich in meine Wangen bohrten. Mit
einem Ausdruck in den Augen, den ich noch nicht kannte, schaute er mich an. Er
küsste mich, die Lippen waren hart. Der Druck seiner Hände wurde stärker.
Übelkeit erfasste mich, und Angst lähmte mich. Offensichtlich würde das hier
anders laufen, als ich erwartet hatte.
Plötzlich löste er seinen Mund
von meinem. Ich blickte ihm erstaunt in die Augen. Seine rechte Hand glitt von
meiner Wange. Die Finger strichen über meine Haut und wanderten von der Wange
zum Hals. Mein Herz schlug so heftig, dass ich Angst hatte, Mike könne es
hören. In dem Moment, als seine Hand mein Genick berührte, wusste ich, dass
etwas passieren würde. Ich beruhigte mich mit dem Gedanken, dass er mir ja wohl
kaum direkt vor dem Gefängnistor die Kehle zudrücken konnte.
Mikes Hand legte sich um meinen
Hals. Dann löste er die andere Hand von meiner Wange und ließ sie in seine
Hosentasche gleiten. Während er etwas daraus hervorholte, starrten wir uns
immer noch an. Direkt vor meinem Gesicht öffnete er die Hand.
»Schau mal«, sagte er. »Schau
mal, was ich hier für dich habe.«
Ich senkte den Blick, um zu
sehen, was er in der Hand hielt, doch in diesem Moment drückte er mir den
Daumen der Hand, die er mir um den Hals gelegt hatte, mit voller Kraft in meine
Halskuhle. Ich setzte alles daran, mich nicht völlig von dem Schmerz und der
Panik, die ich in mir aufsteigen spürte, unterkriegen zu lassen. Er will mir
nur Angst einjagen, aber es wird ihm nicht gelingen, dachte ich. Ich spiele das
Spiel einfach mit.
In seiner Hand lag ein
schwarzer Knopf.
»Was hast du damit vor?«,
presste ich aus meiner zugeschnürten Kehle hervor.
»Das hier«, sagte er mit
eisiger Stimme, »ist der Knopf vom Autoradio deiner Mutter.«
Für einen Moment vergaß ich, wo
ich war. Ich hatte Mike gegenüber mit keinem Wort erwähnt, wohin meine Mutter
gezogen war. Er hatte auch nicht gefragt. Ich hatte gehofft, mich zunächst bei
ihr in Sicherheit bringen zu können, wenn ich heute fliehen würde, und dass ich
danach weitersehen würde.
»Ich weiß, wo sie wohnt«, fuhr
er fort. »Wenn du mich jemals verlässt, mache ich sie kalt!«
Alles in mir verkrampfte sich.
Ich glaubte, nicht richtig gehört zu haben. Zum ersten Mal wurde mir klar, wie
sehr ich meine Mutter liebte. Niemals würde ich mein Gewissen damit belasten
wollen, dass ihr etwas zustieß. Ich spürte, wie mich aller Mut verließ.
Mike ließ mich los und ging an
mir vorbei. Vor dem Gitter blieb er stehen und drehte sich um. »Ach ja«, sagte
er. »Job schläft in meinem Haus. Er bleibt dort, bis ich wieder draußen bin. Er
passt auf dich auf. Du wirst nicht erfahren, wann ich zurückkomme.«
Plötzlich liefen mir die Tränen
über die Wangen. Ich konnte sie nicht mehr zurückhalten. Hier stand ich also.
Ich war fünfzehn Jahre alt und an ihn gekettet, solange es Mike passte.
________ZWEITER
TEIL________
W ährend der ersten Tage, in
denen Mike im Gefängnis saß, wusste ich rein gar nichts mit mir anzufangen.
Jeder ging davon aus, dass ich ihn vermisste, und daher gaben sich alle Mühe,
mich aufzumuntern. Doch ich vermisste Mike wirklich nicht. Verzweifelt suchte
ich nach einem Weg, wie ich mich aus dieser Situation befreien konnte.
Wahrscheinlich hatte Mike das bereits bedacht, bevor er ins Gefängnis kam. Er
hatte alles so eingerichtet, dass ich nicht fliehen konnte. Dass er dabei
unschuldige Leute mit hineinzog, war ihm völlig egal.
Im Haus gab es nichts zu essen.
Das Einzige, wofür Mike gesorgt hatte, war ein Aufseher für mich. Obwohl Mike
dem Bäcker verboten hatte, mir weiterhin Brot für den Hund zu geben, bekam ich
ab und zu doch einen Kanten oder Brotrinden von ihm. Ich sah deutlich, dass der
Mann Mitleid mit mir hatte. Wenn Kelly kam, brachte sie weiterhin jedes Mal
zwei Stullen mit Schmierkäse für mich mit. Manchmal ging ich gegen Mittag bei
Barbara vorbei, die in der Nähe wohnte. Natürlich konnte ich dort nicht jeden
Tag essen. Aber wenn ich dort war, schmeckten die Butterbrote mit Käse und
Marmelade, die ich von ihr bekam, umso besser. Ich half ihr ein wenig beim
Abwasch, und ging dann mit vollem Magen wieder nach Hause.
Hin und wieder besuchte ich
meine Mutter. Obwohl unsere
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