Und Rache sollst du nehmen - Thriller
Narey zum ersten Mal meinen Blick erwidert und tief in mein Inneres gesehen hatte. Seitdem war klar, worauf es hinauslaufen musste, ob man es nun Schicksal oder Fatalismus nennen wollte. Ob freier Wille oder Zufall, beides mündete letztendlich ins selbe, unausweichliche Ende.
Und dieses Ende war nah.
Keine große Sache. Eher eine Art Bestätigung.
Ich war seit fast sieben Jahren tot. Auf meinem Grabstein hätte stehen sollen: »Gestorben am 5. August 2003, am selben Tag wie seine heiß geliebte Tochter Sarah. Ruhe in Frieden.«
In Frieden? Vielleicht.
Ja, vielleicht konnte ich das jetzt.
Der alte Konfuzius hatte Recht: Wer auf Rache aus ist, der grabe zwei Gräber. Eins davon für sich selbst.
Ich hatte meine Gräber schon vor langer Zeit gegraben.
Als das erste Stück Rasen aus der Erde gehoben wurde, um ein Loch für eine wunderschöne elfjährige Prinzessin zu schaufeln, griff auch ich zum Spaten. Ich grub
für Wallace Ogilvie. Ich grub für Keith Imrie. Aber vor allem grub ich für mich selbst. Ich starb, als sie starb. Der Tag ihres Todes war der Beginn meiner ewigen Höllenqualen.
Keine große Sache. Nur ein letzter, unausweichlicher Tod nach so vielen anderen. Damit Außen und Innen endlich übereinstimmten. Damit Physik und Metaphysik endlich miteinander verschmolzen. Um den ganzen Scheiß zu Ende zu bringen. Ja, meinetwegen konnte man mir Egoismus vorwerfen. Meinetwegen konnte man behaupten, dass ich es verdient hatte. Alles hat seinen Preis. Man erntet, was man sät, und auf mich wartete der Sensenmann.
Das Grab, das ich mir geschaufelt hatte, machte mir keine Angst. Ich freute mich darauf. Den ersehnten Frieden konnte ich nur dort unten finden, nirgends sonst. Das hatte ich mittlerweile begriffen.
Außerdem war es richtig so. Es war richtig so, und es war Zeit. Aber nicht weil ich nach Erlösung, Errettung oder Buße strebte. Diese hehren moralischen Prinzipien hingen viel zu hoch, ich hätte niemals an sie herangereicht. Außerdem wollte ich mein Denken nicht mit ihren fremden Federn schmücken. Wer erlöst werden will, muss sich von den Fesseln der Sünde befreien, doch vor manchen Sünden kann man nicht davonlaufen, selbst wenn man wollte. Ich war unfähig, Trauer, Reue oder Scham zu empfinden, ich verspürte keinen Drang, Buße zu tun. Ich war leer. Es war nichts mehr da, nicht mal mehr Wut, nicht mal mehr Hass.
Ich hatte Wallace Ogilvie gehasst, weil er mir mein
Liebstes genommen hatte, ich hatte Rache geschworen. Aber selbst das war Vergangenheit.
Was ich gleich tun würde, hatte nichts mit alldem zu tun. Hier ging es um ein Ende, um die einzige Möglichkeit, mit dem Ganzen abzuschließen, die mir jemals offenstehen würde. Solange ich am Leben war, konnte ich nicht zum Abschluss kommen. Solange ich am Leben war, solange ich atmete, konnte ich keinen Seelenfrieden finden. Es war die einzige Möglichkeit, mir eine Art Frieden zu erkaufen.
Ich hatte getan, was ich versprochen hatte, was ich ihr und mir versprochen hatte. Und jetzt konnte ich es beenden.
Jede Reise beginnt mit einem einzigen Schritt und endet mit einem einzigen Schritt. Da hatte Konfuzius nur zur Hälfte Recht. Ich tat nur einen Schritt. Mehr brauchte es nicht.
Ein Schritt hin zu einem merkwürdigen Frieden. Ein einzelner Schritt. Von da an kam der Boden von sich aus auf mich zu. Aus knapp zweiundsechzig Metern Entfernung rief er mich zu sich, hinab auf die Renfrew Street.
Der kaugummiverklebte Asphalt schickte seine Rufe hinauf zu den luftigen Höhen des Kinodachs. Nicht sehr poetisch, aber es sollte klappen. Ist schließlich das höchste Kino der Welt. Geht ganz schön weit rauf. Und ganz schön weit runter.
Weit genug, um auf dem Weg an Sarah zu denken. An Carr und Tierney. An Billy Hutchison und Brian Sinclair. An Raedale, Imrie, Kirkwood und Narey. An Ally McFarland.
Ich dachte an Schuld und Schicksal. An Starrsinn und Strafe. An Gerechtigkeit und Gier. An Wunsch und Wahn. An dunkle Händel mit dem Teufel.
Ich dachte an Wallace Ogilvie. Er hatte meine Prinzessin umgebracht, und jetzt brachte er mich um. Nein. Damals hatte er mich umgebracht, aber nicht jetzt. Dies war meine Entscheidung, mein Moment.
Ich dachte an sie. An meine Frau. Das Einzige, wofür ich mich schämte. Lange Zeit hatte ich viel zu selten an sie gedacht. Selbst wenn sie ihren Schmerz verleugnete und durch Tabletten betäubte, litt sie doch nicht weniger als ich. Vielleicht begriff ich erst jetzt, als es viel zu spät war, dass ich ihr
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