Und Rache sollst du nehmen - Thriller
nur zur Toilette.
Eine Minute später folgte ihm einer der Quasi-Assis. Der andere blieb da und blickte sich um, offenbar war er zum Schmierestehen auserkoren worden. Ich beobachtete ihn im Spiegel.
Zwei Minuten später kamen der Quasi-Assi und der kleine Mann wieder raus. Mir fiel jetzt auf, dass Letzterer
eine Art Schnurrbart trug, einen hellen, fadenscheinigen Streifen auf der Oberlippe. Er erinnerte an ein Frettchen. An ein Frettchen, das eine Maus gefressen hatte. Ich konnte den kleinen Mann nicht leiden.
Ja, ja, ich weiß schon. Ich konnte Carr nicht leiden, und jetzt konnte ich den kleinen Mann nicht leiden. Aber das hatte nichts zu sagen. Zufall. Ich musste mich zu nichts überreden, ich wollte mir nichts erleichtern. Ich konnte die beiden einfach nicht ausstehen, Punkt. Der kleine Mann hatte das Gesicht eines geprügelten Hundes. Ein geprügelter Hund, der jederzeit zubeißen kann. Außerdem stimmte irgendwas nicht mit seinen Augen, er schielte ein bisschen oder so. Keiner, dem man guten Gewissens den Rücken zukehren würde. Aber das machte nichts, denn ich hatte nichts dergleichen vor.
Jetzt grinste er übers ganze Gesicht. Ein echtes Mäusefressergrinsen. Er kippte seinen restlichen Drink herunter, einen Wodka Bull, und bestellte sich gleich den nächsten, den er ebenfalls binnen zwei Sekunden weggeschafft hatte.
Die Quasi-Assis drückten sich durch die Tür und verschwanden, so dass der kleine Mann allein am Tisch zurückblieb. Er ließ ziellos den Blick schweifen, während Wodka Bull drei und vier ankamen.
Die beiden wurden nicht ganz so schnell geschluckt wie ihre Vorgänger, aber schließlich zuckte er mit den Schultern und goss sich den letzten Rest in die Kehle. Der kleine Mann war fertig.
Er stand auf, verabschiedete sich vom Barkeeper und ging.
Ich blieb sitzen, verunsichert und schlecht vorbereitet. Ich musste abwarten. Ich musste ihm folgen. Beides zugleich war nicht möglich.
Scheiße.
Mein Herz fing wieder mal an zu rasen. Ich hasste Unentschlossenheit und Ungewissheit, ich hasste unklare Entscheidungen. Scheiße!
Meine Zähne knirschten, ich fühlte förmlich, wie sich Schweißtropfen auf meiner Haut bildeten. Die Panik packte mich, und ich verachtete mich dafür. Jede Sekunde, die ich hier verschwendete, war eine verlorene Sekunde, jede verlorene Sekunde war Verschwendung. Ich musste mich verdammt nochmal entscheiden. Wenn ich ihm einen Vorsprung ließ, konnte er unzählige Richtungen einschlagen. Wenn ich ihm hinterhereilte, machte ich mich verdächtig. Die Leute konnten herschauen.
Scheiß drauf. Raus hier. Ich stand auf und verließ die Kneipe durch dieselbe Tür wie der kleine Mann.
Ich spähte nach links zur Konzerthalle. Ich spähte nach rechts die Sauchiehall Street hinauf. Ich spähte die Renfield Street hinauf und hinunter.
Da. War er das? Knappe hundert Meter weiter auf der Renfield Street. Ja, das war er. Oder? Dann war ich mir sicher. Ein niedriger, stacheliger Kopf schob und rempelte sich durch die Passanten. Der kleine Mann.
Beinahe wäre ich ihm hinterhergerannt, riss mich aber im letzten Moment zusammen. Die verdammten Überwachungskameras. Ich achtete darauf, dass ich schneller ging als er, aber nicht allzu schnell.
Dreißig Meter. Ja. Zwanzig Meter. Ja, ganz sicher. Er
war es. Nummer Sechsundfünfzig. Nummer Drei. Der kleine Mann. Mein Mann.
Er frequentierte noch zwei weitere Pubs. Es folgten fünf Wodka Bull, ein Toilettengang, viel Gebärdensprache und immer wieder dieses Mäusefressergrinsen. Ich hasste den kleinen Mann.
Irgendwann drängelte er sich aus dem Pub heraus, der sich als der letzte herausstellen sollte, und lief zurück zur Bushaltestelle an der Hope Street, gegenüber vom Molly Malones. Dort betrat er den Pommesladen, kam mit seinem Abendessen in der Hand wieder raus und wartete leicht schwankend auf den Bus.
Ich presste mich in seinem Rücken an die Wand des Savoy Centre und hoffte, dass mich der Schatten ausreichend schützte. Ich hatte alle Zeit der Welt. Ich war schlecht vorbereitet, aber bereit.
Der Bus kam. Richtung Baillieston. Der kleine Mann stieg ein, daneben drei ältere Damen, zwei alte Herren und zwei Kinder. Und ich.
Ich saß hinter ihm und betrachtete seinen Hinterkopf. Diesen kratzigen Frettchenschädel. Diesen dreisten Klugscheißerschädel. Diesen egozentrischen, merkwürdig selbstbewussten und abgrundtief abscheulichen Schädel.
Wir verließen das Stadtzentrum. Ein paar Leute, die einstiegen, kannte er, ein paar
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