Und Rache sollst du nehmen - Thriller
aber zweifellos in Windeseile zurückbringen, damit sie die Jagd nach dem Cutter fortsetzen konnte. Sie sah gut aus, sie gefiel der Kamera noch immer – elegant gekleidet, beherrscht, souverän. Doch hinter ihren Augen hatte sich die Anspannung eingenistet, es war ganz deutlich, nicht zu übersehen. Alles forderte seinen Tribut.
Der Moderator wollte ihr ein paar beruhigende Worte entlocken. Er fragte, was die Leute da draußen tun könnten, um zu helfen. Nun ja, verdammt wenig offenbar.
Rachel meinte, irgendjemand müsse die Identität des Killers kennen. Ein bestimmter Einwohner Glasgows müsse sich abrupt verändert haben, immer wieder ohne Erklärung verschwinden, mit seinem ganzen Verhalten Verdacht erregen. Jeden, der Zweifel hegte, selbst hinsichtlich eines Partners oder Familienmitglieds, drängte sie, sich umgehend mit der Polizei in Verbindung zu setzen.
Ich beobachtete sie aus dem Augenwinkel. Ich lauerte auf eine Reaktion, aber es kam keine. Gar nichts.
Rachel hatte ihren Auftritt eingeübt, da war ich mir sicher, so geschmeidig, wie sie wirkte. Sie produzierte eigentlich nur Luftblasen – aber wie. Als Nächstes bettelte Mr Sinclairs Witwe, die frisch verheiratete, frisch verwitwete Mrs Sinclair, aus ganzem Herzen um Hilfe. Sie sah beschissen aus.
Mrs Sinclair konnte kaum in die Kamera schauen. Sie hatte nicht geschlafen, seit es geschehen war, sie hatte keine Sekunde aufgehört zu heulen. Das musste ich mir wirklich nicht antun. Ich blickte hinüber zu meiner Frau – und erkannte etwas von dem wieder, was Mary Sinclair gerade durchmachte. Auch meine Frau wirkte müde. Besessen. Verhärmt. Und schockiert, immer noch schockiert.
Die Sendung endete mit der tausendsten Einblendung der Telefonnummern, die man anrufen sollte. Alles würde streng vertraulich behandelt werden, vielleicht könnte man sich sogar für eine Belohnung qualifizieren. Ein Glasgower Geschäftsmann hatte £ 125 000 ausgelobt, andere kleinere Beträge.
Sie ließ sich tiefer in den Sessel sinken und atmete langsam aus, als hätte sie eben einen Boxkampf ausgefochten und ordentlich was abbekommen. Einige Minuten lang sagte sie gar nichts. Und ich würde ganz sicher nicht damit anfangen. Doch dann legte sie los.
»Ich kann das immer noch nicht fassen. Was passiert nur mit dieser Stadt?«
Sie war froh.
»Hast du gesehen, in was für einem Zustand diese arme Frau war? Schrecklich! Unvorstellbar, dass jemand
fähig ist, einem Menschen so was anzutun. Da hätte er sie lieber gleich mit umgebracht.«
Sie war froh.
»Aber irgendwer muss was wissen, da hat diese Frau von der Polizei schon Recht. In der eigenen Familie würde man es auf jeden Fall merken. Ich meine, dein Mann oder dein Sohn oder dein Bruder, wie soll man so was übersehen? Irgendwer versteckt den Mörder, irgendwer deckt ihn.«
Sie war froh über seinen Tod. Das wusste ich.
»Vielleicht traut sie oder er sich einfach nicht, den Mund aufzumachen. Wäre ja kein Wunder, bei so ’nem Monster. Was ist das nur für ein Mensch? Es ist unglaublich. «
Sie war froh.
»Aber man würde es doch auf jeden Fall merken. Der Typ muss ja total wahnsinnig sein. Möglicherweise verstellt er sich, möglicherweise tut er normal, aber das hält keiner lang durch. Wie soll man tun, als wär nichts gewesen, wenn man so was auf dem Gewissen hat? Was denkst du?«
Ich denke, du bist froh, dass Wallace Ogilvie tot ist. Und deshalb bist du froh, dass sie alle tot sind. Ich denke, der Killer kann sich völlig normal verhalten, weil er völlig normal ist. Er hat einen Job zu erledigen, er muss ein Versprechen einlösen. Er tut das Richtige, und du bist froh darüber.
»Ich weiß nicht«, sagte ich, »man kann in die Leute nicht reinschauen. Man weiß nie, was im Leben eines anderen Menschen vor sich geht.«
»Stimmt, das weiß man nicht. Aber mein Gott, wie
kann man so was nur tun? Und dann auch noch damit durchkommen?«
Er tut es, weil er es tun muss. Weil er etwas richtigstellen muss. Weil ein besoffener Bastard sein Liebstes umgebracht hat. Weil man nicht zulassen kann, dass einer mit so was durchkommt.
Und er kommt damit durch, weil er intelligent ist, weil er exakt plant und alles bis ins Letzte durchdacht hat. Er kommt damit durch, weil er das Richtige tut.
»Keine Ahnung. Wer weiß, zu was die Menschen alles fähig sind. Sicher wird ihn die Polizei irgendwann fassen.«
»Irgendwann? Irgendwann? Und wie viele sollen noch sterben, bis es so weit ist?«
Zwei. Und du bist froh,
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