Und sie wunderten sich sehr
sucht.
Ein Rettungsruf, der von fern klingt wie die weihnachtliche Auslegung des Evangelisten Johannes. Beide sind irgendwie verwandt. Johannes hat nichts gewusst von einer Notunterkunft für die Niederkunft der Gottesmutter, er hat nichts gewusst von Schafshirten, Volkszählungen und übel wollenden Lokalfürsten. Er konzentriert sich auf das eine Entscheidende und Wesentliche: »Johannes drei sechzehn« – wie die Nummer eines Rettungsrufs, eines Notrufs: »Ich habe Hilfe geschickt – meinen Sohn.« Das Beste, was ich habe; wenn einer helfen kann, dann er! Was auch immer dich unter Zwang genommen hat, was auch immer dein Leben beherrscht, ohne dass du es willst. Er ist da, um zu helfen. Du bist nicht verloren. Christ ist geboren – keine rettende militärische Spezialeinheit, aber die Botschaft der Weihnachtsnacht, die an den Panikräumen des Alltags klopft. So nämlich hat Gott die Welt geliebt, … dass er sie rettet. Wie viele Türen sind zwischen ihm und uns noch doppelt verschlossen?
Die weihnachtliche Rettungsgeschichte des Johannes kommt zwar ohne Hirten, ohne Maria, ohne ein Kind in einer Krippe aus, aber nicht, ohne vom Licht zu reden. Das Licht ist die Rettung.
|97| So weit Johannes und sein fulminanter Auftakt für viele Kapitel guter Nachrichten. Göttliches rettendes Licht, das ist es für ihn. Mehr als ein halbes Dutzend Mal wird es erwähnt. Licht, das nicht von jedem erkannt wird, das nicht den Physikregeln dieser Welt entspricht und dennoch bezeugt wird, beglaubigt, bestätigt.
Auch bewährt?
Vollmundig ist es jedenfalls, wenn Johannes behauptet, das Licht erleuchtet jeden. Aber es erreicht doch noch nicht alle Verschütteten dieser Welt. Das wird uns das Licht, das in die Welt kam, eben auch nicht vorgaukeln. Menschen, die auf dieses Licht vertrauen, irrlichtern nicht einfach mit ein paar Rettungsillusionen durch die Welt. Auf ein Licht zu vertrauen, das beansprucht, jedem zu leuchten, das bedeutet, nicht einfach über die Panikräume hinwegzugehen, in denen noch immer Menschen festsitzen. Weihnachten nimmt nicht die Wartenden, die Verschütteten, die Ungeretteten einfach aus der Perspektive, sondern sucht den Weg für Rettungstruppen.
Und der Retter selbst – ein Baby: ein hilfloser Helfer? Wie oft haben wir auch in diesem Jahr von solchen »hilflosen Helfern« gehört, sie gesehen, wie sie vor dem Ausmaß größter Katastrophen und explodierter Restrisiken standen? Von einem Weihnachtsfest zum nächsten ist es dunkel geworden für unzählige Menschen. Schwimmt also die »Botschaft der Hoffnung«, wie Politiker in Europa so gern das Weihnachtsereignis umschreiben, immer noch unverdrossen gegen diesen Einbruch der Dunkelheit?
Gott schaut nicht einfach aus einem kalten Himmel in eine nachtschwarze Welt hinein, um dann einen Schalter umzulegen, der auf gleißende Weise alles illuminiert. Sonst hätten die Recht, die fragen: Aha, und warum, bitte schön, leuchtet es dann hier an dieser Ecke noch nicht, und warum ist es hier an der Kurve noch so furchtbar finster? Gott schaut in keine nachtschwarze Welt, in der alle Katzen nicht mal mehr grau, sondern einfach nur unerkennbar |98| sind. Gott bleibt eine Geschichte lang und für die Dauer eines Nachtgesprächs in der Nähe. Das ist die Nabelschnur in jeden Panikraum, in jede eingeschlossene Grube hinein. Das Wunder lässt sich erzählen, um dann zu wirken, was es sagt. Mag sein, dass kaum noch jemand für Nachtgespräche Zeit erübrigen kann. Es sei denn, er arbeitet bei der Telefonseelsorge. Anderen verlangt der Beruf höchstens die Nachtarbeit im Akkord ab. Und die Erschöpfung kann man schon am Wortlaut hören. Nicht jedem mag darum die Vorstellung eines Nachtgesprächs willkommen sein. Vielleicht aber lassen sich die Augen doch offen halten, wenn in diesem Gespräch und den vielen anderen Nachtgesprächen, im Flüstern angesichts der Dunkelheit, vom Licht gesprochen wird. Von Mensch zu Mensch. So spannt sich vielleicht ein bergendes Dach unter kalter Sternenpracht. Vielleicht rettet dann eine Geschichte, vielleicht ist die Rettung nur bei Dunkelheit zu sehen, nicht bei Licht. Wer weiß?
Rettungsgeschichten in der Großstadt sind nicht immer so spektakulär wie die vom Flugzeug auf dem Hudson River, von geretteten Tanker-Mannschaften oder von Geretteten unter Erdbebentrümmern. Sie bewegen auch nicht gleich die Welt via Blog oder Twitter. Noch nicht mal in die lokale Presse schaffen sie den Absprung.
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