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Und sie wunderten sich sehr

Und sie wunderten sich sehr

Titel: Und sie wunderten sich sehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christina-Maria Bammel
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Rettungsgeschichten
    »Geboren ist euch heute der Heiland, der ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids.« (Lukas 2, 11) Die Sätze der Engel klingen eher nach Bekenntnisformel als nach einer überwältigenden Neuigkeit. Allerdings hat Lukas uns hier einen Satz bewahrt, der das Drama der Rettung in sich trägt. Entscheidend ist: Der Retter kommt nicht erst, um seine Kräfte mit den Gefährdungen dieser Welt zu messen. Er kommt nicht im Sinne eines neuen Hoffnungsträgers, der noch zu beweisen hat, was er kann. Was geheilt und wieder aufgerichtet werden kann, ist bereits geheilt und aufgerichtet allein durch das Dasein dieser Person, berührbar und nah. Sie muss nichts mehr von ihrer Kunst des Heilens und Rettens beweisen.
    Sich selbst als geheilt und gerettet zu erkennen ist vielleicht eine ungewöhnliche Betrachtungsweise für die postmoderne, urbane Seele. Die drohenden Gefährdungen bleiben ja. Und wer hier erzählt, sieht mitunter recht nüchtern, wie er oder sie sich allein die größte Gefahr bleibt. Aber sie alle bleiben mit sich selbst unterwegs – verwundet vielleicht, verwaist, übermüdet, gewiegt, tatsächlich gerettet und geheilt? Vielleicht noch nicht in der Weise, dass es in eine eigene Bekenntnisformel passen könnte, aber doch so, dass sie etwas spüren von dem, was das alte Wort »Wohl« bezeichnet. Denn auch das haben die antiken Schreiber vor Augen und im Ohr gehabt, als sie von Rettung und Heil mitten in unrettbar unheiligen Zeiten Engelsbotschaften festhielten. Errettet von allem, was zu schaffen macht, errettet auch von der »Macht der Feinde« (Lukas 1, 71), selbst derer, die ich mir selbst geschaffen habe.
    |100| Heilige Nacht
    Darum wird euch der Herr selbst
    ein Zeichen geben:
    Siehe, eine Jungfrau ist schwanger
    und wird einen Sohn gebären,
    den wird sie nennen
    Immanuel.
    Jesaja 7,14

    Die Krankenhauskapelle ist manchmal Flüsterstube und manchmal heiliger Pausenraum. Hier feiern die Patienten, so sie können und mögen, auch zu Heiligabend einen Gottesdienst. Stiller vielleicht als an anderen Orten, hin und wieder auch bekümmert und besorgt, und darum unersetzlich hilfreich und gut. Die blau ummantelte Madonna an der rechten Seite der Krankenhauskapelle hat sicherlich schon viel erlebt, aber das eine wahrscheinlich noch nicht. Davon handelt diese Begegnung, die nicht in dieser Kapelle, sondern woanders begann. Lassen wir die Madonna in ihrem blauen Mantel noch einen Moment schauen auf die Besorgten und Bekümmerten, die zu ihren Füßen eine Kerze anzünden.

    Anne, ob sie wirklich so heißt, werde ich wahrscheinlich nie erfahren, kommt hin und wieder zum Weinen in die Kirche. Es ist die Kirche, in der ich als angehende Pfarrerin in der Ausbildung gelegentlich, eher selten, Aufgaben übernehmen darf. Anne jedenfalls hat nichts von einer zarthäutigen Maria in reinen Gewändern. Ihr Gesicht zeigt allerdings warme, fast weich gezeichnete Augenpartien. Die sehen gerade in der dunklen Jahreszeit sehr angestrengt aus. Eigentlich sind es die Augen eines Kindes.
    Wir kommen ins Gespräch. Anne hat jede Menge Fragen. Eigentlich möchte sie wieder zur Kirche gehören, fragt sich aber, ob sie dann überhaupt am Abendmahl teilnehmen darf und ob es tatsächlich immer Wein gibt. Mir ist |101| so eine Frage noch nie gestellt worden. Habe ich das richtig gehört?
    Anne spricht leise, ganz gleich ob jemand hört oder nicht. Ihre Worte stehen einzeln, fast wie sanft angehaucht, so dass man sich nicht sicher ist, ob es gerade ein Räuspern war oder ein Satz. Sie erzählt stockend von dem, was sie hierhergebracht hat. Es ist eine Geschichte mit vielen Leerstellen, und zum Weinen ist sie auch.
    Bitterkeit allerdings mutet Anne sich und den anderen nicht zu. Wie sie sich diese Stimme trotz ihrer anstrengende Profession, von der ich gerade erfahren habe, wohl bewahrt haben mag, das wird mir beim Zuhören zum Rätsel.

    Die Sprache, aus Worten gemacht, das ist nicht ihre Welt. Dass sie überhaupt wieder eine Kirche betreten kann – ganz ohne jede Panik oder Erstarrung –, das ist für sie das Wunder, sagt sie. Dabei sitzt sie ein wenig linkisch in der Kirchenbank, strahlend fast. Selbst die dunklen Ringe unter den Augen, Zeichen der Erschöpfung, versuchen einen guten Eindruck zu machen. Unbeholfen liegen ihre großen Hände aufeinander. Hände, die hart arbeiten – an anderen Menschen, Männern. Die dünn gewordenen halblangen Haare hat sie wie in Eile zusammengebunden.
    Ich erfahre, dass sie in

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