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Und so verlierst du sie

Und so verlierst du sie

Titel: Und so verlierst du sie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Junot Díaz
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hatte, je wieder. Irgendwann vor Weihnachten verzog sie sich aus Terrace in unbekannte Gefilde. Das erzählte mir der Gujarati, als ich ihn zufällig bei Pathmark traf. Er war immer noch sauer, weil Pura ihn um knapp zwei Monatsmieten beschissen hatte.
    An einen von euch vermiete ich nie wieder.
    Amen, sagte ich.

    Man sollte meinen, Rafa wäre wenigstens ein bisschen zerknirscht gewesen, als er endlich rauskam. Von wegen. Er verlor keinen Ton über Pura. Redete überhaupt nicht viel. Ich glaube, er wusste jetzt wirklich, dass er nicht gesund werden würde. Er sah viel fern, und manchmal unternahm er bedächtige Spaziergänge zur Müllkippe. Er fing an, ein Kruzifix zu tragen, weigerte sich aber, zu beten oder Jesus zu danken, wie meine Mutter es wollte. Die Pferdegesichter kamen wieder fast jeden Tag zu uns, und wenn mein Bruder sie ansah und zum Spaß Scheiß auf Jesus sagte, beteten sie nur noch inbrünstiger.
    Ich ging ihm so weit wie möglich aus dem Weg. Ich war endlich mit diesem Mädchen zusammen, das nicht halb so geil wie Laura war, aber mich wenigstens mochte. Durch sie war ich auf Zauberpilze gekommen, und so dröhnte ich mich in der Zeit, die ich eigentlich in der Schule sein sollte, mit ihr zusammen zu. An die Zukunft dachte ich mal gar nicht.
    Wenn Rafa und ich allein waren und ein Spiel lief, versuchte ich ab und zu, mit ihm zu reden, aber er antwortete nie. Er hatte alle Haare verloren und trug sogar im Haus eine Kappe von den Yankees.
    Etwa einen Monat, nachdem er aus dem Krankenhaus gekommen war, lief ich mit einem Kanister Milch vom Laden nach Hause, high und in Gedanken bei meinem neuen Mädchen, als wie aus dem Nichts mein Gesicht explodierte. Alle Leitungen in meinem Hirn wurden ausgeknipst. Keine Ahnung, wie lange ich weg war, aber einen Mördertraum später kam ich auf Knien zu mir, das Gesicht in Flammen, in meinen Händen nicht die Milch, sondern ein wuchtiges Vorhängeschloss.
    Erst, als ich es nach Hause geschafft hatte und Mami eine Kompresse auf die Beule auf meiner Wange drückte, begriff ich es. Jemand hatte mir das Schloss ins Gesicht geworfen. Jemand, der mal Baseball für unsere Schule gespielt hatte und dessen Fastball mit hundertneunundvierzig Stundenkilometern gemessen wurde.
    Ist ja richtig übel, gluckste Rafa. Du hättest dein Auge verlieren können.
    Später, als Mami im Bett war, sah er mich gelassen an: Habe ich dir nicht gesagt, dass ich dich kriege? Habe ich’s nicht gesagt?
    Und dann lachte er.

INVIERNO
    Von ganz oben auf der Westminster, unserer Haupteinkaufsstraße, konnte man am Horizont im Osten einen winzigen Streifen Meer sehen. Mein Vater kannte die Aussicht schon – die Verwaltung zeigte sie jedem –, aber als er uns vom JFK herfuhr, hielt er nicht an, damit wir sie auch sehen konnten. Vielleicht hätte das Meer uns aufgemuntert, wenn man bedenkt, was es sonst zu sehen gab. London Terrace selbst war ein Chaos; in der Hälfte der Häuser fehlten noch die elektrischen Leitungen, und im Abendlicht sahen die Gebäude aus wie Schiffe aus Stein, die auf Grund gelaufen waren. Überall folgte Matsch auf Kies, und das Gras, das im Spätherbst gesät worden war, reckte sich in toten Büscheln durch den Schnee.
    Jedes Haus hat eine eigene Waschküche, erklärte Papi. Mami sah zerstreut unter der Kapuze ihres Parkas hervor und nickte. Wunderbar, sagte sie. Ich beobachtete verängstigt, wie der Schnee über den weißen Boden stob, und mein Bruder ließ seine Knöchel knacken. Es war unser erster Tag in den Staaten. Die Welt war zu Eis erstarrt.
    Unsere Wohnung kam uns riesig vor. Rafa und ich hatten ein Zimmer nur für uns, und die Küche mit dem Kühlschrank und dem Herd war etwa so groß wie unser ganzes Haus in der Sumner Welles. Wir hörten erst auf zu bibbern, als Papi die Temperatur in der Wohnung auf gute fünfundzwanzig Grad hochdrehte. An den Fensterscheiben sammelten sich Wassertröpfchen wie kleine Bienen, und wir mussten über das Glas wischen, wenn wir hinaussehen wollten. Rafa und ich waren in unseren neuen Sachen todschick und wollten nach draußen, aber Papi sagte, wir sollten unsere Stiefel und Parkas ausziehen. Er setzte uns vor den Fernseher, seine Arme waren stark und bis hinauf zu den kurzen Ärmeln erstaunlich stark behaart. Gerade hatte er uns gezeigt, wie man die Toilette abzog, die Wasserhähne aufdrehte und die Dusche laufen ließ.
    Das hier ist kein Slum, fing Papi an. Ich möchte, dass ihr alles um euch herum mit Respekt behandelt. Ich will

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