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Und so verlierst du sie

Und so verlierst du sie

Titel: Und so verlierst du sie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Junot Díaz
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also stellte ich die kleine Metalldose auf den Boden und ging raus, um zu rauchen.

    Anfang Oktober bekamen wir einen Anruf von Pura. Es geht ihm nicht gut. Meine Mutter nickte, also ging ich rüber, um nach ihm zu sehen. Was für eine Untertreibung. Mein Bruder war vollkommen weggetreten. Er glühte vor Fieber, und als ich ihn berührte, sah er mich nur an, er hatte keinen Schimmer, wer ich war. Pura saß auf der Bettkante, hielt ihren Sohn im Arm und versuchte, ganz besorgt auszusehen. Gib mir den verdammten Schlüssel, sagte ich, aber sie lächelte matt. Den haben wir verloren.
    Natürlich war das gelogen. Wenn ich den Schlüssel für den Monarch in die Finger bekommen hätte, hätte sie den Wagen nie wiedergesehen, und das wusste sie.
    Er konnte nicht laufen. Er konnte kaum die Lippen bewegen. Ich versuchte, ihn zu tragen, aber das schaffte ich nicht, nicht zehn Blocks weit, und zum ersten Mal, seit unser Viertel existierte, war keine Menschenseele in der Nähe. Mittlerweile gab Rafa nur noch unsinniges Zeug von sich, und ich bekam richtig Angst. Ernsthaft: Ich fing an durchzudrehen. Ich dachte: Der stirbt mir hier weg. Dann entdeckte ich einen Einkaufswagen. Ich schleppte Rafa rüber und setzte ihn rein. Alles gut, sagte ich zu ihm. Alles bestens. Pura sah uns von der Haustür aus zu. Ich muss mich um Adrian kümmern, erklärte sie.
    Mamis ständiges Beten hatte sich wohl gelohnt, an diesem Tag wurde uns nämlich ein Wunder geschenkt. Ratet mal, wer vor unserem Haus geparkt hatte, wer angelaufen kam, als sie sah, was ich im Einkaufswagen vor mir her schob, wer Rafa und mich und Mami und die ganzen Pferdegesichter zum Beth Israel brachte?
    Genau: Tammy Franco. Auch bekannt als Fly Tetas.

    Er blieb lange dort. In dieser Zeit und danach passierte noch viel, aber es gab keine Mädchen mehr. Dieser Teil seines Lebens war vorbei. Ab und zu besuchte Tammy ihn im Krankenhaus, aber es lief wie immer: Sie saß nur da und sagte nichts, und er sagte nichts, und nach einer Weile ging sie wieder. Was zum Teufel läuft da?, fragte ich meinen Bruder, aber er erklärte es nie, mit keiner Silbe.
    Was Pura angeht – die meinen Bruder genau kein Mal besuchte, solange er im Krankenhaus lag –, nun, sie schneite noch einmal bei uns zu Hause vorbei. Rafa lag noch im Beth Israel, also hätte ich sie nicht hereinlassen müssen, aber das hätte ich albern gefunden. Pura setzte sich auf das Sofa und wollte die Hände meiner Mutter nehmen, aber das ließ Mami nicht zu. Sie hatte Adrian mitgebracht, und der kleine manganzón fing sofort an, herumzurennen und irgendwo gegenzulaufen, und ich musste mich zusammenreißen, um ihn nicht ordentlich in den Hintern zu treten. Während sie weiter auf Ach-ich-Arme machte, erklärte Pura, Rafa habe sich Geld von ihr geliehen und sie brauche es zurück, sonst würde sie ihr Zimmer verlieren.
    Ach, por favor, zischte ich.
    Meine Mutter musterte sie eindringlich. Wie viel war es?
    Zweitausend Dollar.
    Zweitausend Dollar. Und das 198 –. Die Alte war doch high.
    Meine Mutter nickte nachdenklich. Was glaubst du, was er mit dem Geld gemacht hat?
    Keine Ahnung, flüsterte Pura. Er hat mir nie was erzählt.
    Und dann lächelte sie kackdreist.
    Das Mädchen war echt ein Genie. Mami und ich sahen beide aus wie ausgekotzt, aber sie saß da wie aus dem Ei gepellt und selbstsicher bis zum Anschlag – nachdem die ganze Sache gelaufen war, machte sie sich nicht mal mehr die Mühe, sich zu verstellen. Mit mehr Kraft hätte ich geklatscht, aber ich war zu deprimiert.
    Mami sagte erst mal nichts, und dann ging sie in ihr Zimmer. Ich dachte, sie würde mit der billigen Knarre meines Vaters zurückkommen, dem Einzigen, was sie von ihm behalten hatte, nachdem er abgehauen war. Zum Schutz, behauptete sie, aber wohl eher, um meinen Vater abzuknallen, falls sie ihn noch mal sah. Ich beobachtete Puras Kind, das fröhlich die Fernsehzeitung durch die Gegend pfefferte, und überlegte, wie ihm das Leben als Waise wohl gefallen würde. Und dann kam meine Mutter zurück, in der Hand einen Hundert-Dollar-Schein.
    Ma, protestierte ich matt.
    Sie gab Pura den Schein, hielt ihr Ende aber fest. Lange starrten sie sich an, bevor Mami losließ; das Papier schnackte richtig, so hatten beide gezogen.
    Que Dios te bendiga, sagte Pura und zog sich ihr Top über den Brüsten zurecht, bevor sie aufstand.
    Keiner von uns sah Pura oder ihren Sohn oder unser Auto, den Fernseher, unsere Betten oder die X Dollar, die Rafa für sie gestohlen

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