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Und so verlierst du sie

Und so verlierst du sie

Titel: Und so verlierst du sie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Junot Díaz
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sie ganz ab, sagte Papi.
    Ich könnte noch ein paar andere Sachen probieren.
    Papi warf einen Blick auf seine Uhr. Rasieren Sie sie ab.
    Na gut, meinte Rubio. Ich beobachtete, wie die Schneidemaschine durch meine Haare pflügte, wie meine Kopfhaut zart und wehrlos zum Vorschein kam. Einer der alten Männer im Wartebereich kicherte und hielt seine Zeitung höher. Mir war richtig übel; ich wollte mir die Haare nicht abrasieren lassen, aber was hätte ich meinem Vater sagen sollen? Dafür hatte ich keine Worte. Als Rubio fertig war, massierte er meinen Hals mit Talkumpuder. Jetzt siehst du guapo aus, sagte er wenig überzeugt. Er schenkte mir einen Streifen Kaugummi, den mein Bruder mir klauen würde, sobald ich zu Hause war.
    Und?, fragte Papi.
    Er hat zu viel abgeschnitten, antwortete ich ehrlich.
    So ist es besser, meinte er und bezahlte den Friseur.
    Draußen klammerte sich die Kälte wie eine Schicht nasser Erde um meinen Kopf.
    Schweigend fuhren wir zurück. Auf dem Raritan steuerte gerade ein Öltanker in den Hafen, und ich überlegte, wie leicht es wohl sein würde, mich an Bord zu schleichen und zu verschwinden.
    Magst du negras?, fragte mein Vater.
    Ich wandte den Kopf und musterte die Frauen, an denen wir gerade vorbeigefahren waren. Als ich mich zurückdrehte, wurde mir klar, dass er eine Antwort erwartete, dass er es wissen wollte, und obwohl ich am liebsten damit herausgeplatzt wäre, dass ich mit Mädchen generell nichts anfangen konnte, sagte ich, O ja, und er lächelte.
    Sie sind schön. Er steckte sich eine Zigarette an. Sie kümmern sich besser um dich als alle anderen.
    Rafa lachte, als er mich sah. Du siehst aus wie ein großer Daumen.
    Dios mío, sagte Mami und drehte mich herum. Warum hast du ihm das angetan?
    Es sieht gut aus, antwortete Papi.
    Er wird noch krank bei der Kälte.
    Papi legte mir eine kalte Hand auf den Kopf. Es gefällt ihm, sagte er.
    Papi arbeitete lange fünfzig Stunden die Woche, und wenn er frei hatte, erwartete er Ruhe, aber in meinem Bruder und mir steckte zu viel Energie, als dass wir leise sein konnten; wir fanden nichts dabei, morgens um neun, wenn Papi schlief, unsere Sofas zu Trampolinen umzufunktionieren. Aus unserem alten barrio waren wir es gewohnt, dass die Leute rund um die Uhr Merengue durch die Straßen dröhnen ließen. Die Nachbarn über uns, die sich selbst wegen jeder Kleinigkeit wie die Trolle stritten, stampften dann auf den Boden. Könnt ihr mal leise sein?, und dann kam Papi aus seinem Zimmer, die Shorts nicht zugeknöpft, und fragte, Was habe ich euch gesagt? Wie oft habe ich euch gesagt, ihr sollt ruhig sein? Er verteilte großzügig Schläge, und wir mussten ganze Nachmittage lang im Straftrakt – unserem Kinderzimmer – auf den Betten liegen, ohne aufzustehen, denn wenn er hereinplatzte und uns am Fenster erwischte, wie wir auf den schönen Schnee starrten, riss er an unseren Ohren und schlug uns, und dann mussten wir stundenlang in der Ecke knien. Wenn wir das verbockten, herumalberten oder schummelten, mussten wir uns auf die Reibfläche einer Kokosraspel knien, und wir durften erst aufstehen, wenn wir bluteten und wimmerten.
    Jetzt seid ihr leise, meinte er dann zufrieden, und wir lagen auf unseren Betten, während das Jod auf unseren Knien brannte, und warteten darauf, dass er zur Arbeit ging, damit wir die Hände an das kalte Fenster pressen konnten.
    Wir sahen den Nachbarkindern zu, wenn sie Schneemänner und Iglus bauten oder sich Schneeballschlachten lieferten. Ich erzählte meinem Bruder von dem Feld, das ich gesehen hatte, in meiner Erinnerung war es riesig, aber er zuckte nur mit den Schultern. Gegenüber in Apartment vier wohnten ein Bruder und eine Schwester, und wenn sie draußen waren, winkten wir ihnen zu. Sie winkten zurück und signalisierten, dass wir rauskommen sollten, aber wir schüttelten den Kopf: Wir dürfen nicht.
    Der Bruder zog seine Schwester mit zu den anderen Kindern mit ihren Schaufeln und ihren langen, schneeverkrusteten Schals. Anscheinend mochte sie Rafa, sie winkte ihm zu, bevor sie ging. Er winkte nicht zurück.
    Amerikanische Mädchen sollen ja hübsch sein, sagte er.
    Hast du welche gesehen?
    Na, für was hältst du die? Er griff nach einem Taschentuch und nieste eine doppelte Ladung Schnodder aus. Wir hatten alle Kopfschmerzen und Erkältungen und Husten; wir hatten die Heizung ganz aufgedreht, und trotzdem machte der Winter uns fertig. Ich musste in der Wohnung eine Weihnachtsmütze tragen, um meinen

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