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Und stehe auf von den Toten - Roman

Titel: Und stehe auf von den Toten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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belangt worden, denn es war ihr Privileg, dass nur die Büttel des Rektors auf dem Campus für Ordnung sorgen durften. Kein Sbirre und kein Schlüsselsoldat. Doch kurz nach dem Karneval mussten sich die Burschen erst einmal ausruhen. Deshalb herrschte auf den Fluren und in den Hörsälen gähnende Leere.
    Ein junger Hauptmann mit einem Dutzendgesicht baute sich vor dem Arzt auf und herrschte ihn an: »Gehen Sie von dem Toten weg. Sie haben kein Recht, ihn auszuweiden.«
    »Es heißt obduzieren«, gab Fermi uneingeschüchtert zurück.
    »Es ist mir egal, wie Sie die Fledderei nennen.« Der
Hauptmann gab seinen Leuten einen Wink. Zwei Sbirren breiteten ein großes Stück Segelstoff am Boden aus.
    »Ich protestiere! Ich bin anerkannter Gutachter und von Monsignore Caprara, dem Auditor des Tribunal Rotae Romanae, mit der medizinischen Untersuchung des Leichnams des Auditors Alfredo Arcimboldo Spigola beauftragt.«
    »Wer uns behindert, wird festgenommen!«, drohte der Polizeioffizier.
    Prospero stellte sich den Sbirren in den Weg, die den Toten auf die Segeltuchplane legen wollten. »Verlassen Sie unverzüglich das Gelände der Universität!«, forderte er. Die Sbirren wichen ratlos zurück.
    Der Hauptmann hingegen scherte sich nicht weiter um den Einspruch. »Nehmt den Spinner mit!«, polterte er.
    Bevor Prospero sich versah, hatten zwei Männer seine Arme nach hinten gerissen und fesselten ihn.
    »Was erlauben Sie sich? Ich bin Hilfsauditor der Rota«, brüllte er.
    »Was geht’s mich an. Meine Befehle sind eindeutig!«, erwiderte der Hauptmann kalt.
    »Und von wem kommen Ihre Befehle?«
    »Von Seiner Eminenz dem Kardinalvikar von Rom, Guido Ganieri.« Als Fermi sah, wie die Sbirren sogar mit einem Mitarbeiter der Rota umsprangen, trat er von dem Leichnam zurück. Er war Wissenschaftler und kein Märtyrer. Die Polizisten verpackten währenddessen die Leiche Spigolas. Der Hauptmann nahm Prosperos Protokoll an sich.
    »Ich werde mich über Sie beschweren. Wer sind Sie?«, fragte er den Offizier.
    »Das geht Sie nichts an!«
    »Wohin bringen Sie mich?«

    Der Hauptmann schaute zu seinen Leuten, legte den Kopf schief und befahl zwei Bewaffneten: »Schafft ihn in den Stadtkerker in der Via Giulia.«
    Brutal schleiften die Männer Prospero aus dem Anatomischen Theater. Er sah noch Benjamins schreckgeweitete Augen, dann hatten sie ihn in den Gang hinausgeschleift.
    »Wenn Sie über das reden, was hier vorgefallen ist oder über den Zustand der Leiche, dann leisten Sie dem da bald Gesellschaft«, dröhnte die leiser werdende Stimme des Hauptmanns hinter ihm her.

17.
    D ie beiden Männer, ein alter und ein junger, traten aus der Synagoge auf die Straße, die in unmittelbarer Nähe zum unbefestigten Ufer des Tibers lag. Der Rabbiner warf einen sorgenvollen Blick zum Fluss hinüber und dachte, dass sehr bald schon, wenn Jahweh den Wassern des Himmels nicht endlich Einhalt gebot, mit einer Überschwemmung zu rechnen war. Mit all den unangenehmen Begleiterscheinungen wie einer Ruhrepidemie und einstürzenden Häusern.
    »Ach, dieser ewige Regen. Es ist, als würde man mit offenen Augen durch den Tiber tauchen«, schimpfte Tranquillo Vita Corcos und sah dabei nachdenklich seinen jungen Begleiter an. Er überlegte, wie er das Gespräch geschickt auf das Duell bringen könnte. Dem jungen Mann tropfte das Wasser mittlerweile schon vom Dreispitz.
    »Du hast Recht, eine wahre Sintflut«, erwiderte David missmutig. Er seufzte und tauchte vorsichtig tastend wie ein Kind einen Fuß in die Pfütze. »Bei uns zu Hause liegt dafür jetzt schöner, weißer Schnee. Weißt du, wie still Schnee ist? Und wenn er dazu noch die Spitzen des Hradschins und der Synagoge umhüllt und den Figuren auf der Karlsbrücke lustige weiße Kappen aufsetzt, dann ist Prag die schönste Stadt der Welt«, schwärmte er. Und dann erzählte er seinem zukünftigen Schwiegervater, wie in seiner Kindheit einmal sogar die Moldau zugefroren war und sie mit Rinderknochen unter den Füßen auf dem großen Strom schlitterten. Während er plauderte, bemerkte Corcos, wie sich ein knabenhafter Zug in die harten Gesichtszüge des jungen Mannes stahl, und er dachte gerührt, wie
jung David eigentlich noch war, dass hinter dem betont männlichen Auftreten letztlich nur Prahlerei steckte. Er mochte den jungen Mann, wenngleich ihm nur allzu gut bewusst war, dass sich dessen glänzende Anlagen noch nicht im Gleichgewicht befanden. Dafür besaß Corcos ein fast melancholisches

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