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Und stehe auf von den Toten - Roman

Titel: Und stehe auf von den Toten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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bisher keinen Hinweis auf Cäcilia gefunden hätten.
    »Was hat Spigola gesagt?«, drängte Velloni den Hilfsauditor. Prospero konnte ihn unmöglich über das ungewöhnliche Ausbleiben des Untersuchungsrichters informieren. Velloni würde sofort vermuten, dass auch der Auditor entführt worden war. Und dann wahrscheinlich in seine Depression zurückfallen. Das durfte Prospero keinesfalls riskieren.
    »Noch nichts. Wir wurden unterbrochen«, antwortete er deshalb vage. Bevor der Bibliothekar nachhaken konnte, griff Prospero nach der Türklinke und betrat den Leseraum.
    Dort wartete der Archivar bereits mit einem Mann, der auf den Namen Bianco Bertollini hörte und einer Familie entstammte, die seit Jahrhunderten Papier herstellte. Von den Bertollinis hieß es, dass sie bereits die Pergamente schufen, auf denen Papst Gregor der Große die Vita des Heiligen Benedict niederschrieb. Aber unabhängig davon, ob man geneigt war, diesen Familienlegenden Glauben zu schenken oder eben nicht, galten die Bertollinis seit jeher
als die besten Papiermüller der Ewigen Stadt. Biancos Haut sah aus, als hätte sie über die Jahrzehnte der Beschäftigung mit diesem Handwerk die Farbe von Bütten angenommen und dabei jegliches Alter verloren.
    Nachdem man sich kurz bekanntgemacht hatte, stieß ein mittelgroßer Mann im Habit der Jesuiten zu ihnen, der über die Kutte aus feiner Mohairwolle, die ihm bis zu den Füßen fiel, einen eleganten Mantel mit Kragen trug. An seiner langen Nase bildete sich von Zeit zu Zeit ein Tropfen, der in aufregender Langsamkeit nur höchst widerwillig der Schwerkraft nachgab. Prospero fühlte sich an eine Sanduhr erinnert und musste sich zwingen, den Blick von der Nasenspitze des Jesuiten zu nehmen. Der schmale, knochige Kopf des Ordensmannes schien in einer schwarzen Mütze die ideale Verlängerung gefunden zu haben. Prospero brauchte einen Moment, um zu begreifen, was ihn an dem Jesuiten irritierte. Es waren die fehlenden Augenbrauen.
    »Fra Arnaldo«, stellte der Mann sich mit brüchiger Stimme vor. Er ging wie selbstverständlich davon aus, dass ihn jeder kannte, und das zu Recht. Er war der berühmteste Chemiker Roms. Man tuschelte über ihn, dass er die Chemie mehr liebte als Gott. Offenbar hatte er sich die Brauen bei einem Experiment verbrannt.
    Trotz der illustren Versammlung von Sachverständigen mussten sie sich mit dem Beginn der Untersuchung noch gedulden, denn aus unerfindlichen Gründen fehlte Alessandro Caprara. Da der Auditor auf Pünktlichkeit hielt, erklärte Prospero sich die Verspätung seines Vorgesetzten mit den Schwierigkeiten, einen Kardinal beizubringen, wie er es versprochen hatte. So schwiegen sie einander an, was einer gewissen Peinlichkeit Auftrieb verlieh. Der Jesuit nieste
kräftig, und Valenti wischte sich mit dem Daumenrücken einige Tropfen, die seine Stirn getroffen hatten, ab.
    »Sauwetter!«, brummte Fra Arnaldo halb erklärend, halb entschuldigend. »Wenn uns das Leben nicht umbringt, dann murkst uns vorher der Regen ab.«
    »Er dringt sogar bis hier her!«, bemerkte der Graf spitz und wischte sich noch einmal demonstrativ über die Stirn.
    »Perdono, Signor, aber als Mensch kann ich nichts für das Wirken der Naturgesetze«, brummte Fra Arnaldo verärgert.
    »Und als Jesuit?«, stichelte Valenti.
    »Steh ich auch nicht über den Naturgesetzen!« Er hatte kaum ausgesprochen, da stürmte Alessandro Caprara ohne Kardinal, ohne Hut, dafür mit offenem Mantel und rot leuchtendem Kopf herein. Alle Augen richteten sich auf ihn.
    Prospero befürchtete schon, dass seinen Mentor der Schlag treffen würde. Er war ganz offensichtlich außerordentlich erregt. Nach Luft japsend begrüßte er flüchtig die Anwesenden. Dann zog er, ohne sich mit einer Erklärung oder einer Entschuldigung aufzuhalten, seinen Assistenten unsanft hinaus auf den Flur. Dort blieb er indes nicht im Kreuzgang stehen, sondern ging weiter in die Mitte des Innenhofs, obwohl es aus allen Himmelseimern schüttete. Caprara schien gar keine Notiz vom Regen zu nehmen. Prospero begriff, dass sein Vorgesetzter sicher sein wollte, dass sie niemand belauschen konnte. Der Mann, der in seiner langen Dienstzeit schon so ziemlich alles an Verbrechen, Intrigen und Gemeinheiten gesehen haben dürfte, was das menschliche Gehirn zu ersinnen in der Lage war, rang mühsam um Fassung. »Wenn du vernommen hast, was ich dir zu sagen habe, Landsmann, gehen wir beide, so
als ob nichts geschehen wäre, hinein und beginnen in aller Ruhe

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