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Und stehe auf von den Toten - Roman

Titel: Und stehe auf von den Toten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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ausgeliefert und allein gelassen für alle Ewigkeit. Obwohl er wusste, wie übertrieben das war, kam er gegen die Empfindung,
die jetzt wie eine große, schwarze Welle über ihn schwappte, nicht an. Eine schwere Bohlentür trennte ihn von seinem Leben. Das Knirschen des Schlosses glich dem trockenen Geräusch, welches das Handschwert verursachte, wenn es die Halswirbel eines Delinquenten durchtrennte, der schneidende Laut der Endgültigkeit. Die Kerkertür war zu. In diesem Loch könnte auch er verfaulen, wenn niemand an ihn dächte. Prospero spürte, dass er dringend wieder Boden unter den Füßen benötigte und klar denken musste, wenn er der Hölle mit heiler Haut zu entrinnen hoffte. Keinesfalls durfte er sich seinen Gefühlen überlassen. Er senkte den Kopf, spannte die Fäuste an, bis die Knöchel weiß wurden, und schloss langsam die Augen. Er sammelte seine Kräfte. Alles Denken, alles Fühlen, alles Wollen versammelte sich in seinem Herzen. Ganz auf sich allein gestellt, suchte er Zuflucht in seinem Innern, und fand dort schließlich den Gedanken, den er gesucht hatte und der ihn jetzt wie ein schützender Mantel umgab: Er durfte sich nicht aufgeben, denn Gott tat es nicht! Gleich darauf schwor er, dass er dem Kerker entkommen und dann Ganieri für die Willkür und die Schmach bestrafen würde. Es kam ihm nicht einmal in den Sinn, wie lächerlich es war, einem der höchsten Vertreter des Kirchenstaates Strafe anzudrohen. Irgendjemand begann mit unnatürlich hoher Stimme ein irres Lied ohne zusammenhängenden Text zu singen: »Kyrie eleison, eleison diabolos ...« Begleitet wurde der Gesang von einem dumpfen, rhythmischen Stöhnen.
    Prospero versuchte die verstörenden Laute zu ignorieren und in seinem Kopf die Ereignisse des Tages zu ordnen. Auf einmal durchfuhr ihn eine Eingebung. Er hatte überhaupt keinen Beweis für diese kühne Behauptung,
aber sein sechster Sinn verriet ihm, dass der Kardinalvikar von Rom den Mörder von Monsignore Alfredo Arcimboldo Spigola deckte. Geheiligt sei der Name des Märtyrers, denn das war der alte Mann, der für die Gerechtigkeit gestorben war, jetzt für ihn.
    Prospero öffnete die Augen und schaute sich entschlossen um, mit immer noch gesenktem Kopf von unten nach oben blickend. Er registrierte, dass gleichgültige und auch feindselige Blicke ihn musterten. Sein Köper war bis zum Bersten gespannt. Allmählich ebbte das Interesse der anderen Gefangenen ab. Bis auf eine kleine Gestalt, die nur aus Muskeln zu bestehen schien. Sie ließ ihn nicht aus den schielenden, eng stehenden Augen. Prospero fühlte sich unbehaglich. Er versuchte die penetranten Blicke zu ignorieren und konzentrierte sich darauf, weiter die Zelle zu erkunden.
    Auf dem Boden lag fauliges Stroh. In einer Ecke stand ein überfüllter Kübel. Irgendwann, dachte er angeekelt, würde er sich dort in den Dreck setzen und, was Gott verhüten möge, den Kübel vor aller Augen benutzen müssen. Plötzlich stand der Schielende vor ihm.
    »Hast du Moneten?«
    »Das geht dich nichts an!«, fuhr Prospero den Ganoven an.
    »Steht mir zu! Ist meins. Rück raus! Nehm’ es auch von ’nem Toten«, bellte der.
    Die niedrige Stirn ließ den Hilfsauditor keinen Moment daran zweifeln, dass der Kriminelle es ernst meinte. Er besaß nicht die Intelligenz, um zu bluffen. Prospero wusste, dass Zurückweichen den Tod bedeutete, deshalb nahm er ihn fest in den Blick.
    »Du drohst mir? Hast du etwa schon einmal einen Menschen getötet?«

    »Was?«
    »Hast du schon mal einen erstochen?«
    »Einen erstochen? Quatsch nicht! Geld her!«
    Prospero erschrak. Der andere hielt jetzt einen Dolch in der Hand. Wo immer er den auch her haben mochte.
    »Hab keine Angst vor nassen Sachen.« Schon wollte der kleine Muskelprotz zustoßen, da wurde er von hinten an den Oberarmen gepackt und gegen die Wand geschleudert. Benommen drehte er sich um, aber da trat der Angreifer ihn schon mit aller Kraft zwischen die Beine. Der Schielende bekam immer größere Augen, was einigermaßen komisch wirkte, weil es so aussah, als beobachteten seine beiden Augäpfel sich gegenseitig beim Anschwellen. Gleich würden sie aus den Höhlen treten. Dann blies er die Backen auf und ging in die Knie. Seine Kniescheiben hatten das schmierige Gestein noch nicht ganz erreicht, da traf ihn die Faust des anderen so hart am Kinn, dass er mit einem Glucksen hintenüberfiel. Obwohl keiner direkt zu ihnen schaute, konnte Prospero doch spüren, dass die Aufmerksamkeit aller bei

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