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Und stehe auf von den Toten - Roman

Titel: Und stehe auf von den Toten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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ihnen war.
    Prosperos Retter bückte sich, hob das Messer auf, begutachtete es kurz und wandte sich dann dem Hilfsauditor zu.
    »Eigentlich sollten wir ihm die Arme brechen, dann kann er keinem mehr was antun.«
    Aber er rang sich nicht zu der Drecksarbeit durch. Das übernahmen andere, die im Dunkeln der Zelle gekauert hatten und plötzlich zum Vorschein kamen, weil sie die Chance, sich zu bereichern, witterten. Fressen und gefressen werden, so lautete hier das simple Gesetz des Lebens. Wer schwach war, starb. Von rechts und links näherten sich dem bewusstlosen Mörder je zwei Lumpengestalten, die alle Münzen aus den Taschen klaubten, sich den Inhalt
seines Beutels, der am Gürtel hing, teilten und dann seine Arme über ihren Knien brachen. Die beiden kurzen knackenden Geräusche lösten in Prospero Übelkeit aus. Er umfing unwillkürlich wie zum Schutz mit den Händen seine Ellenbogen und rang um Beherrschung. Der Mörder stieß einen gellenden Schrei aus und riss die Augen auf. Sein Gesicht war schmerzverzerrt. Flink wie Asseln flitzten die Diebe wieder in die Tiefe der Zelle zurück. Er schrie und heulte wie ein Wolf in einer Eisenfalle und wollte schon auf Prospero losgehen, den er für den Täter hielt. Doch dann spürte er, dass er seine Arme nicht mehr benutzen konnte. Es war schrecklich mitanzusehen, wie er langsam begriff, was man ihm angetan hatte und in welcher Hilflosigkeit er sich plötzlich befand. Tränen rannen über seine Wangen. Wieder heulte er auf, nichts Menschliches war in seinem Gebrüll, und dennoch rührte es an. Es war der Laut einer Kreatur, die verstand, dass sie verloren war. Dann kehrte Ruhe ein. Stumm glotzte er mit offenem Mund, den Kopf leicht schräg nach oben gerichtet, vor sich hin. Schließlich zog er sich in eine Ecke zurück und wimmerte wie ein Kind, denn mit seiner physischen Stärke hatte er zugleich sein Leben verloren. Die Muskeln nutzten ihm nichts mehr, wo die Knochen gebrochen waren. Wenn er nicht daran verendete, würden sie schief wieder zusammenwachsen. Aber von nun an war er, der nie Mitleid gekannt hatte, auf das Mitleid der anderen angewiesen. Darauf angewiesen, dass sie ihn nicht totschlugen und ihm etwas zu essen übrigließen.
    Prospero wunderte sich, wie ungerührt er diesen elementaren Vorgang des Lebens beobachtet hatte. In der Hölle galten die Gesetze der christlichen Nächstenliebe nicht mehr. Hier ging es nur um das nackte Überleben.

    Der Fremde, der ihn gerettet hatte, räusperte sich. Prospero blickte auf. Der Mann besaß eine athletische Figur und ein ebenmäßiges Gesicht. Er trat sehr selbstsicher auf, überzeugt davon, dass jeder seinen Wert auf Anhieb erkennen musste. Oberlippen- und Kinnbart bestachen durch ihre penible Pflege, auch die Frisur glich einem Kunstwerk des Coiffeurgewerbes. Ein Franzose, vermutete Prospero.
    »Ignaz Edler von Poelschau, Reit- und Fechtlehrer der Gräfin Stamitz«, stellte sich der Unbekannte vor. Kein Franzose, ein Österreicher also. Prospero pfiff durch die Zähne. Wen man so alles in einem gewöhnlichen römischen Stadtkerker antreffen konnte. Ein durchaus illustrer Ort, dachte er sarkastisch.
    »Was hat Sie denn hierher verschlagen?«, fragte er den Österreicher.
    »Eine viel zu lange Geschichte für einen kurzen Aufenthalt. Aber mit wem habe ich die Ehre? Sie sehen mir nicht wie ein Hochstapler aus.«
    »Oh, vor Gott sind wir alle Hochstapler. Aber im Ernst, ich bin Prospero Lambertini, Mitarbeiter der Rota.«
    »Das sollten Sie hier vielleicht nicht allzu laut sagen. Die hochedle Belegschaft dieses feinen Etablissements steht, vorsichtig ausgedrückt, mit den Gerichten auf Kriegsfuß. Ich bitte um Entschuldigung, aber es sieht nicht so aus, als ob Sie zu einer Besichtigung hergekommen sind.«
    »Eine viel zu kurze Geschichte, als dass es sie zu erzählen lohnte.«
    Poelschau lächelte. Er hatte verstanden. Sie verspürten beide keine Lust, über das Missgeschick zu reden, das sie hierher verschlagen hatte. Vom Eingang drang Lärm und lenkte ihre Aufmerksamkeit zur Tür.
    Der dürre Wächter dienerte einem besser gekleideten
Herrn hinterher, auf den er ohne Atempause beschwichtigend einredete. Der Bessergekleidete fühlte sich offensichtlich durch das Geschwätz des Wärters belästigt und rief dem Österreicher, sobald er ihn entdeckt hatte, schon von weitem zu: »Mein lieber Poelschau, Sie sehen mich untröstlich, untröstlich, dass den Polizeibehörden diese monströse Eselei unterlaufen konnte,

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