Und stehe auf von den Toten - Roman
das Grundböse gibt, sogar in physischer Präsenz.«
Velloni hatte Recht. Aber die Frage ließ sich nicht theoretisch entscheiden. So kamen sie nicht weiter.
»Wir brauchen eine Leiche!«, stöhnte Prospero. Er bereute seine unbedachte Äußerung sofort, als er in die schreckgeweiteten Augen Vellonis blickte, der jetzt wieder in der Gegenwart angekommen war. Dann kam Prospero ein anderer Gedanke, und dieser ließ ihn erschauern.
»Oder«, fügte er stockend hinzu, »wir müssen einen Vampir finden!«
33.
E ndlich«, rief ihm schon von weitem Giovanni entgegen, als er völlig aufgeweicht - wie immer in den letzten Tagen - zu Hause eintraf. Der Fischer hatte, wer weiß, wie lange schon, im Dauerregen auf ihn gewartet. »Du musst mit mir kommen, Prospero, schnell!« Giovanni wirkte vollkommen außer sich, und der Hilfsauditor folgte ihm, ohne noch Zeit mit Nachfragen zu verschwenden.
Die Müdigkeit saß Prospero bleischwer in den Gliedern, doch nach dem, was ihm Velloni eröffnet hatte, hätte er wahrscheinlich ohnehin keinen Schlaf gefunden. Es war der Stoff, aus dem Alpträume gemacht wurden, zutiefst verstörend und verwirrend zugleich. Fiel eine Horde Vampire über Rom her, oder spielte ein Teufel ein grausames Spiel mit ihnen? Alles schien mittlerweile möglich. Auf dem Heimweg hatte er die dunklen Orte gemieden und überall Frauen und Männer mit erstaunlich langen Eckzähnen vermutet. Auf alle Fälle schwebten Schatten über Rom, ob sie aber natürlichen oder übernatürlichen Ursprungs waren, blieb ihm ein Rätsel. Wenn Wassilij Recht hatte und in Rom tatsächlich Vampire ihr Unwesen trieben, dann stand der Kampf aller gegen alle unmittelbar bevor, denn wer würde schon in der Lage sein zu erkennen, wer noch Mensch war und wer sich bereits in einen Untoten verwandelt hatte?
Er musste so bald als möglich mit Alessandro Caprara über die Wendung in dem Fall reden, obwohl ihn die Furcht, sich mit seinen neuen Theorien lächerlich zu machen, noch zurückhielt.
»Komm, Prospero!« Der aufgewühlte Fischer packte ihn am Arm und trieb ihn zu größerer Eile an.
»Wo laufen wir überhaupt hin? Was willst du mir zeigen?«
»Verzeih einem ungebildeten Mann, aber ich habe einfach keine Worte dafür. Du musst es mit eigenen Augen sehen.« Dann verstummte er wieder und setzte nur noch geschwinder die Füße voreinander.
Als sie die Mitte des Ponte Sistos erreichten, hörte der Regen plötzlich auf. Damit hatte schon niemand mehr gerechnet. Durch die Wolken brach der Vollmond, der den Fluss und die Häuser der Stadt in einen bläulich kalten Silberschein tauchte. Auf der Brücke tanzten die Lichtpartikel in den Pfützen wie verspielte Elfen. Prospero blickte nach rechts. Die Oberfläche des Tibers ähnelte jetzt einem riesigen Opal. Schwarz glänzend und leblos. Wie der Styx, dachte Prospero schaudernd.
»Da«, sagte der Fischer neben ihm leise und zeigte nach links. Prospero folgte mit seinem Blick dem ausgestreckten Arm. Vom Schwarz des Wassers hoben sich schwimmende weiße Flächen wie Seerosen ab. Es dauerte einige Zeit, bis sein schockierter Geist bereit war zu erkennen, was seine aufgerissenen Augen schon die ganze Zeit anstarrten.
Vor ihm lag das Ende der Welt. Der Anblick, den der Teufel eigens für ihn arrangiert zu haben schien, ließ Prospero schwindeln. Er stolperte vorwärts und stützte sich kraftlos auf dem Brückengeländer ab. Mit der rechten Hand schlug er wieder und wieder auf die steinerne Balustrade ein. Den Schmerz nahm er gar nicht wahr.
Auf den Wassern des Tibers schwammen weiße Madonnen, zehn oder zwölf. Sie schienen sich aneinander festzuhalten, als hätte die Gewalt, die man ihnen angetan hatte, sie für immer vereint. Wie ein Kranz, den Mädchen gern aus Butterblumen flochten. Getötete Unschuld.
War dies eine Botschaft? Warum heute? Warum jetzt? Hatte der Täter etwa gewusst, dass der Mond hervorbrechen und seine Inszenierung beleuchten würde?
Die Körper der Mädchen bildeten einen Kreis, den die sanften Wellen wiegten. Das Weiß der Leibchen und Unterkleider, die ihre verwesenden Leiber nur schlecht verdeckten, kam einem stummen Vorwurf gleich. Wieso hatte niemand den Tod dieser unschuldigen Geschöpfe verhindert? Die Gesichter blickten zum Himmel. Unbewusst tat Prospero es ihnen gleich. Aber das Firmament war leer. Prospero Lambertini suchte verzweifelt nach Gott, aber er fand ihn nirgends, an keiner Stelle des Himmels, in keiner Faser seines Denkens und keiner Kammer
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