Und stehe auf von den Toten - Roman
finden wir eine erschreckende Episode, in der die Heiligen in ein Dorf von Bluttrinkern geraten. Dem weisen Isidor verdanken wir die Mitteilung, dass Lamien gespenstische Frauen sind, die Kindern und besonders Jünglingen das Blut aussaugen. Saxo Grammaticus berichtet über die Untaten, die sie in Fünen verübten...«
Prospero glaubte sich verhört zu haben. »Wo?«, fiel er dem Philologen ins Wort.
»Hoch im Norden herrschte der heidnische Gott Odin. Doch in seiner Abwesenheit riss der Zauberer Mid-Odin die Macht an sich. Odin kehrte zurück, und Mid-Odin versteckte sich auf der Insel Fünen, wo ihn Einwohner nach einem Angriff erschlugen. Selbst nach seinem Tod beging er noch Schandtaten: Wer sich seinem Grab näherte, wurde durch plötzlichen Tod hingerafft. Da gruben ihn die Bewohner aus dem Hügel, schlugen ihm den Kopf ab und durchbohrten die Brust mit einem spitzen Pfahl; das brachte Abhilfe.«
»War der Füne Mid-Odin ein Vampir?«, fragte Prospero aufgeregt. Konnte es ein Zufall sein, dass der Name von Deborahs Bräutigam in diesem Zusammenhang auftauchte? Der Philologe zuckte mit den Schultern. Er wusste es nicht, auch hegte er gegen Saxos Bericht einige Vorbehalte. »Lass mich einen großen Sprung machen. Der deutsche Arzt Philipp Rohr nennt in seiner Historisch-philosophischen Abhandlung vom Kauen und Schmatzen der Toten, die vor wenigen Jahren erschienen ist, eine große Anzahl von Fällen schmatzender Toten. Diese Geräusche, so meint er, werden vom Teufel verursacht. Andere machen dafür Azazel verantwortlich.
»Den Todesengel.«
»Ja. Ich habe angefangen, eine Liste von Orten zusammenzustellen, die laut meinen Quellen von Vampiren überfallen
und schließlich vernichtet worden sind. Nur ein paar Beispiele: Atlantis, Susa, Thule, Arkadd, Gomorrha, Aphrodisias, Kislovka in Serbien - ich komme bis jetzt auf zwanzig Orte. Sie sind bis heute Geisterstädte, nie wieder wagten es Menschen, sich dort niederzulassen. Die Plätze sind verflucht. Nacht für Nacht erschufen die Vampire dort immer neue Untote, bis sie schließlich aus Nahrungsmangel weiterziehen mussten.«
»Woran erkennt man sie?«
»Ich weiß es leider noch nicht. Alle Beschreibungen, die ich gelesen habe, kommen mir wie Fantasieprodukte vor. Manche Gelehrte behaupten, dass sich die Vampire in Fledermäuse verwandeln können, andere sind der Auffassung, dass sie immer wieder die Gestalt von Werwölfen annehmen. Einig sind sich nur alle darin, dass sie sich in menschlicher Form äußerlich nicht von normalen Menschen unterscheiden, auch wenn sie übermenschliche Kräfte besitzen. Nicht einmal Wassilij, der die Opfer der Blutsauger gesehen hat, hat so ein Biest je zu Gesicht bekommen. Man weiß nur, dass sie in Grüften und Särgen ruhen.«
»Wie kann man sie bekämpfen?«
»Da gehen die Meinungen ebenfalls auseinander. Die Adepten stimmen nur in der Vorstellung überein, dass man sie aufsuchen muss, wenn sie in ihrem Grabe liegen, weil sie dort wehrlos sind. Dann kommt es darauf an, dass man schnell handelt, ihnen einen Pfahl ins Herz treibt, einen Stein zwischen die Kiefer schiebt, den Kopf abschlägt und zwischen die Beine legt oder den Leichnam verbrennt.«
»Wir müssen also zu Leichenfledderern werden, wenn wir Rom schützen wollen?«, resümierte Prospero Lambertini düster.
»Im Grab zumindest kann man den Vampir erkennen.
Der Un-Tote sieht in seiner vermeintlich letzten Ruhestätte frisch aus, er riecht nicht nach Verwesung, seine Fingerund Fußnägel wachsen ständig neu nach, und aus den Ohren dringt frisches Blut.«
Prospero dachte nach. Wenn wirklich ein Vampir in Rom sein Unwesen trieb, dann ergäbe es einen Sinn, dass sie keine Leichen, nicht einmal eine Spur der vermissten Mädchen finden konnten. Die Mädchen hätten sich in Untote verwandelt. Zweifelnd sah er seinen Freund an. »Glaubst du wirklich, dass Vampire existieren? Könnte das nicht auch alles nur Aberglauben sein?«
»Viele Autoritäten sind davon überzeugt, dass es Vampire tatsächlich gibt. Warum sollten sie sich irren?«
Prospero schüttelte sich, um die Bilder loszuwerden, die sich ihm aufdrängten. Ihm schwirrte der Kopf. Eine tiefe Sehnsucht nach wissenschaftlich nachprüfbaren Fakten übermannte ihn.
»Niemand«, fuhr der Philologe fort, »zweifelt an der Existenz des Teufels, und die Exorzisten führen seit Alters her im Dienst der Kirche den Kampf gegen ihn. Warum zweifeln wir dann an der Existenz von Vampiren, wenn wir uns einig sind, dass es
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